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Das Röhren der Hirsche

Herbstnächte auf der Wasseralm

Zehn Uhr. Zapfenstreich. Während in der Alpenvereinshütte auf der Wasseralm alle die Nachtruhe vorbereiten – Katzenwäsche unter kaltem Wasser, Hüttenschlafsack und Wolldecken richten, Stirnlampe für nächtliche Eventualitäten mit ins Lager nehmen – legen draußen vor der Hütte die Hirschbullen gerade richtig los.

Es ist Anfang September und die Brunftzeit der Rothirsche hat begonnen: Einen eher zaghaften Jungbullen-Brüller, der vom Waldrand weiter oben kommt, quittiert der Platzhirsch, der wohl unten auf der offenen Wiese steht, mit einem markdurchdringenden Röhrer. Sehen kann ich weder den einen noch den anderen, denn mit der Dunkelheit hat sich auch dichter Nebel um die drei Almgebäude gelegt. Nur die Augenpaare von einigen Hirschkühen und ihren Kälbern funkeln mir entgegen, als ich mit dem Lichtstrahl meiner Stirnlampe in dem trüben Dunst herumstochere.

An die einhundert Tiere, hatte mir Hüttenwirt Horst am Abend erzählt, seien zu Brunft-Hoch-Zeiten rund um die Wasseralm unterwegs. Dafür käme man am besten Ende September hinauf in den Nationalpark Berchtesgaden.

Bis meine Beine in der Kälte anfangen zu schlottern und einen Schauer durch meinen Körper jagen, lausche ich gespannt in die Nacht. In diesem Moment weiß ich noch nicht, dass ich mich drei Wochen später tatsächlich nochmals auf den Weg zur Wasseralm machen und in der Dämmerung den Platzhirsch zu Gesicht bekommen würde. Anja aus Hamburg wird mich dann anstrahlen: „Das ist mein erstes Mal, dass ich Hirsche in der Natur sehe.“ – „Meins auch“, werde ich zurückgrinsen!

Vor lauter Hirsch-Anblick-Begeisterung im besten Moment die Kamera gar nicht erst gezückt. Und das Stativ natürlich auch im Rucksack.

Und so klingt’s nachts (Ton ruhig mal lauter stellen):

Gut zu wissen

Hin und weg: Der direkteste Weg zur Wasseralm führt aus der Salet kommend am Obersee vorbei und über den Röthsteig. Der Weg ist schwarz und mit vier Stunden Gehzeit ausgewiesen; erfahrene Geher werden bei guten Bedingungen eher drei Stunden benötigen. Für den seilversicherten Steig sollte man schwindelfrei und trittsicher sein. Alternativ lässt sich die rote/mittelschwere Route über den Landtalsteig und das Wildtörl nehmen. – Dieser Weg führt, etwas weniger ausgesetzt, quasi eine Etage über dem Röthsteig entlang. Dritte Variante aus der Salet ist der schwarz markierte Sagerecksteig.

Bei der Anreise einplanen: Mit dem Elektroboot der ganzen Länge nach über den Königssee bis in die Salet zu fahren, dauert gut eine Stunde; die Boote fahren in der Saison mindestens alle 30 Minuten, zu Stoßzeiten deutlich häufiger.

Die Wasseralm: Die Wasseralm ist eine von mehreren früher landwirtschaftlich genutzten Almen in der Röth – einem großen, teils bewaldeten Bergkessel. Erst in den letzten Jahren hat die ehemalige Selbstversorgerhütte Waschräume und WCs bekommen. Was sich nicht geändert hat: Die Speisekarte, die so legendär klein wie hervorragend ist. Die Auswahl beim Abendessen lautet: Gemüsesuppe. Oder Gemüsesuppe mit Wurst. Brot dazu. Nachschlag, wer mag – allerdings streichen selbst gute Esser meist nach dem ersten Teller satt die Segel.

Tourenziele von der Wasseralm: Die Wasseralm ist vor allem während mehrtägiger Wanderungen zwischen Steinernem Meer und Hagengebirge ein wichtiges Übernachtungsziel. Gipfeltouren ansonsten vor allem zum Funtenseetauern und zu den Teufelshörnern.

Geschichte: Auf dem Weg zu den Teufelshörnern zweigt an der Neuhüttenalm auf etwa 1.600m ein Pfad ab, der zu den Überresten einer Jagdhütte führt, die 1934 für Hermann Göring gebaut wurde. Ebenso wie der Obersalzberg war die Röth von den Nationalsozialisten kurzerhand zum Sperrgebiet erklärt worden.

Das Röhren hören: Während der zweiten Septemberhälfte. Ab Anfang September zeigen sich die Hirsche, sowie es dämmert, auf dem offenen Almgelände. Ende September hallt das Röhren mitunter den ganzen Tag durch den Bergkessel. Nachts sowieso.

Für meine Begriffe noch überwältigender als vom Röthsteig: Der Blick von „einer Etage höher“, nahe des Wildtörl – auf Oberseee, Königssee und Watzmann.

(*Titelbild: Ende September 2017. Besuch aus Helvetia – weshalb statt der Alpenvereinsfahne auch kurzerhand die Schweizer Flagge gehisst war.)  

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