Über Land

Königsklasse mit Bergblick

Schloss Herrenchiemsee. König - Kini - Ludwig II

Kunstausflug nach Herrenchiemsee

Königsklasse. Wäre es nach Ludwig II gegangen, hätte es diese Präsentation nie gegeben. Zumindest nicht auf der Herreninsel im Chiemsee. Denn der bayerische „Kini“ wollte Schloss Herrenchiemsee, genauso wie seine anderen Bauten, nie der Öffentlichkeit zugänglich machen. Mehr noch: nach seinem Ableben sollten die Schlösser zerstört werden.

Als der „Märchenkönig“ 1886 wegen angeblicher Geisteskrankheit erst des Amtes enthoben wurde und wenige Tage später unter bis heute nicht zweifelsfrei geklärten Umständen im Starnberger See starb, war das Schloss Herrenchiemsee nur in Teilen vollendet. Nach dem Tod des Königs wurden die Arbeiten am Schloss schnell eingestellt; die Anlage aber entgegen des königlichen Wunsches nicht abgerissen.

Eine Klasse für sich

Heute gehört Schloss Herrenchiemsee gemeinsam mit Linderhof und Neuschwanstein – als die drei Königsschlösser – zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Deutschland. Mit der Präsentation „Königsklasse“, die erstmals 2013 stattfand, können Herrenchiemsee-Besucher auch den unvollendeten Schlossteil im Nordflügel, mit seiner groben Backsteinarchitektur regulär besuchen. Die Idee dabei: Gegenwartskunst aus der Pinakothek der Moderne in München einen Sommer lang in einem neuen Kontext zu zeigen, im Schloss, das sich auf der bewaldeten Insel mitten im Chiemsee versteckt.

Im vergangenen Sommer gab es die vierte Auflage von zeitgenössischen Gemälden und Skulpturen, in diesem Jahr ist die Ausstellung leicht verändert und um einen Film erweitert. Es bietet sich an, diesen gleich zu Beginn des Ausstellungsrundgangs anzuschauen. Denn er lässt gewissermaßen einen Blick hinter die Kulissen zu, mit Momentaufnahmen während der Vorbereitung, mit Stimmen der Macher und der Künstler.

Acht Männer …

Jedem der vorgestellten Künstler ist ein Raum gewidmet: Da sind zum Beispiel die schon von weitem duftenden, raumhohen Skulpturen, die Wolfgang Laib aus Bienenwachs modelliert hat. Dann wieder die strengen, in Schwarz-Weiß gehaltenen Gitterbilder von Günther Förg. Der japanische Künstler Kazu Shiraga hat für seine auf Herrenchiemsee ausgestellten Bilder oft zunächst lange meditiert, sich dann kurzerhand von der Decke hängen lassen, die Füße in Farbe getaucht und damit gemalt. Ganz anders wieder Hans-Jörg Georgi, dessen Flugobjekte aus Papierresten lange Zeit aus Platzmangel Abend für Abend im Müll landeten, bevor der durch eine Kinderlähmung beeinträchtigte Künstler im „Atelier Goldstein“ der Lebenshilfe Frankfurt Raum für sein kreatives Schaffen fand.

… und Etel Adnan

Einzige Frau der aktuellen Königsklasse ist die heute 94-jährige libanesische Künstlerin Etel Adnan. Als Tochter eines Syrers und einer Griechin wuchs sie türkisch- und griechischsprachig in einer arabischen Umwelt auf. Noch in der Schule lernte sie Französisch, später Englisch. Sie ging zunächst nach Paris. Dann nach Berkeley und Harvard. – Aus gutem Grund gilt sie als eine der kosmopolitischsten Künstlerinnen der arabischen Welt.

Sie hat früh selbst geschrieben. Mit dem Malen begann sie Ende der 1950er Jahren, nachdem sie nach Kalifornien zurückgekehrt war und schon eine Weile Philosophie und Kunsttheorie am Dominican College in San Rafael im Marin County unterrichtet hatte. Auslöser war die Frage ihrer Dekanin: Warum Etel Adnan Kunsttheorie unterrichte, aber selbst weder zeichne noch male? Bereits am nächsten Tag richtete Etel Adnan einen Platz in einem Künstlerzentrum am Fuße des Mount Tamalpais ein.

Mount Tamalpais

Der Mount Tam, wie ihn die Einheimischen kurz nennen, liegt nördlich von San Francisco. Mehr als 20 Jahre schaute Etel Adnan aus ihrem Haus auf den Berg. Es ist der Berg, den die Indianer den Tamal-Pa, „Der Eine nah am Meer“, nannten. Für die Spanier war er Mal-Pais, „Schlechtes Land“. Für Radler gilt er als Geburtsort des Mountainbikens, nachdem ein Grüppchen junger Wilder in den 1970ern herkömmliche Räder gelände- und bergtauglich gemacht hatte und sie dort fortan bergauf, bergab fuhren. Für Etel Adnan schließlich ist es der Berg, mit dem sie sich immer und immer wieder beschäftigt in ihrer Malerei.

Ein Saal vom Kini für Etel Adnan. (Foto: noa, © Etel Adnan / Courtesy Galerie Lelong & Co)

International bekannt wurde Etel Adnan einer breiteren Öffentlichkeit erst vor wenigen Jahren, seitdem Werke von ihr auf der documenta (13) gezeigt wurden. Über den Mount Tam schrieb sie damals: „Ich begann mich an ihm zu orientieren, aus der Nähe ebenso wie aus der Ferne. Er wurde zu einem Gefährten … Ich malte nur noch den Berg, und das ging jahrelang so … Es wurde meine Hauptbeschäftigung, den Berg in seiner unaufhörlichen Veränderung zu beobachten … Ich war süchtig.“

Sind ihre Bilder nun abstrakte Malerei? Sind sie stilisierte Landschaften? – Man weiß es nicht so genau. Mich sprechen die zumeist pastellenen Farben an, das Organische berührt mich. – Auch wenn man sich mit zeitgenössischer Kunst sonst vielleicht gerne mal schwer tut, macht Etel Adnan es einem vergleichsweise einfach.

In dem hohen, backsteingemauerten Saal von Schloss Herrenchiemsee verlieren sich die kleinformatigen Bilder zwar fast. Aber das hat einen entscheidenen Vorteil: Will man sie erfassen, reicht es nicht, durch den Raum zu flanieren und diesen außergewöhnlichen Dreiklang von Kunst und roter, grober Wand drinnen sowie frischem Grün draußen en passent auf sich wirken zu lassen. Vielmehr heißt es hingehen zu den Bildern, fast hineinkriechen in die Landschaften und Formen.

Genug der Kunst? – Dann ab durchs Treppenhaus, das ebenso unvollendet ist wie der gesamte Nordflügel. Beim genauen Hinschauen finden sich hier wie an allen nackten Wänden sogar noch allerlei technische Notizen; dann wieder Strichlisten – wofür auch immer sie gewesen sein mögen. Einzig als Kunst gehen sie wohl nicht durch.

Gut zu wissen

Die „Königsklasse IV“ ist bis zum 3. Oktober 2019 für Besucher geöffnet, jeweils 9 bis 18 Uhr.

Hin und weg: Öffentlich sehr gut möglich: Zug bis Prien, von dort knapp zwei Kilometer zum Hafen in Prien/Stock spazieren oder für diese Strecke die Chiemsee-Bahn nehmen. Übersetzen zur Herreninsel mit dem Schiff. Alternativ Anreise mit dem Auto nach Prien oder Gstadt.

Insel-Hopping: Auf einer Rundfahrt lässt sich die Herreninsel mit einem Besuch der Fraueninsel kombinieren.

Wandern auf der Herreninsel: Auch das geht. Der Weg rund um die Insel ist etwa sieben Kilometer lang. Zur Inselsüdseite hin geht es übrigens „bergauf“: Die Steinwand erhebt sich dort bis zu 25 Meter aus dem Chiemsee.

Geschichte und Zukunft: Nahe der Anlegestelle spaziert man am Alten Schloss vorbei, einem ehemaligen Kloster. Dort tagte im August 1948 der sogenannte Verfassungskonvent, der das deutsche Grundgesetz vorbereitete. Im Frühjahr 2019 haben die Sanierungsarbeiten am zum Kloster gehörenden, seit mehr als 100 Jahren für die Öffentlichkeit geschlossenen Inseldom begonnen. Nach Abschluss der Arbeiten soll er wieder zugänglich werden.

Korrektur: In einer früheren Version hieß es, dass der unvollendeten Teil von Herrenchiemsee erstmals 2013 besucht werden konnte. Richtig ist: 2011 war dies bereits während der Landesausstellung möglich; mit der Königsklasse sind die jahrzehntelang unbenutzten, allenfalls als Abstellkammern dienenden Räume nun auch regelmäßig zugänglich. 

Transparenzhinweis: Die Ausstellung „Königsklasse IV“ habe ich im Rahmen einer Presse- und Bloggerveranstaltung der Pinakothek der Moderne besucht.

Die Fotos sind mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Schlösserverwaltung entstanden.

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