Die Soiernrunde

Aus den Augen, aus dem Sinn? Mitnichten! – Manch eine Bergwanderung ist eben auch nach vielen Jahren noch ganz besonders: Weil sie damals erst im zweiten oder dritten Anlauf endlich geklappt hat. Weil es die erste richtige Bergtour mit dem Partner war. Weil sie gigantische Eindrücke hinterließ. Oder wegen einer Kombination aus allem. Die Soiernrunde ist so eine Tour für mich:

Festgeklammert: Nachmittagsregen
Festgeklammert: Nachmittagsregen

Mit meiner Begeisterung für eine Tour auf das Soiernhaus bin ich nicht allein. „Der Kini wusste schon, wo’s besonders schön war“, ist dann auch ein Satz, den ich gleich mehrmals während der zwei Tage an und rund um die in der Sonne smaragdgrün erscheinenden Soiernseen höre.

Das im Soiernkessel liegende Soiernhaus war eine der Bergresidenzen von Ludwig II.

„Welche Sehnsucht habe ich nach den Bergen. – Auf den Bergen ist Freiheit und überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.“

(Ludwig II. an Sibylle von Leonrod, am 28. August 1870)

Insgesamt zwölf solcher Residenzen, die meisten kaum mehr als einfache Berghütten, besaß der „Märchenkönig“ am Ende. Viele dieser einfachen Jagdhütten hatte schon sein Vater Max II. errichten lassen. An den Soiern indes waren zwar schon – die auch noch heute teils recht gut erhaltenen – Reitsteige angelegt; eine Hütte gab es aber noch nicht.

Die Jagd ließ Ludwig II. kalt; aber die Schönheit des Soiernkessel beeindruckte ihn so sehr, dass er dort den Bau einer Hütte beauftragte, die im Herbst 1866 fertiggestellt war. Weiter unten, am See, entstand ein zweites Haus, in dem der Pferdestall und die Kammer für den Reitknecht untergebracht war.

Je mehr sich die Regenwolken verziehen, die meinen Aufstieg über den Lakaiensteig umhüllt hatten, desto mehr geben sie vom Soiernkessel frei. Nach dem Abendessen stehe ich auf der Terrasse des Soiernhauses – an dieser Stelle befand sich einst, bevor sich die Grundmauern senkten und der Gebäudeteil abgetragen wurde, das Wohn- und Schlafzimmer des Königs.

Königlicher Blick

Ich lasse meine Augen erst hinunter zu den Seen, dann hinauf entlang der schroffen Felswände tasten. Ludwig II. ließ diese Kulisse auch immer wieder durch Bergfeuer, Feuerwerke und Leuchtraketen illuminieren. Mit Sicherheit muss das hübsch gewesen sein, aber eigentlich nicht nötig, denke ich mir. Denn die Natur ist, wie sie hier oben ist, wieder einfach nur eins: überwältigend.

So an die 20 Mal sei der König wohl hier oben gewesen, erzählt mir die Hüttenwirtin später noch, bevor ich bald eine Gute Nacht wünsche und die kleine Holztreppe ins Schlaflager hinaufgehe.

Nächte auf Alpenvereinshütten lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Es gibt die, die fantastisch sind. Und es gibt die, über die man sich ausschweigt. – Ich schweige mich diesmal aus; bin morgens mit einigen anderen eine gute Weile vor dem Frühstück wieder auf der Terrasse. Kurz und doch ausgiebig gestärkt und keine halbe Stunde später geht es los: Im Uhrzeigersinn um den Soiernkessel.

Einmal rundum

Zum Einlaufen ein gemütlicher, schattiger Aufstieg über die Jägersruh und weiter über die alten Reitsteige.

Was er denn beobachte, frage ich einen Jäger, der mit seinem Hund und einem großen Spektiv im Schatten einer Latschenkiefer auf dem Steig sitzt. Er zeigt auf die Gämsen am gegenüberliegenden Berghang. Hier oben sei eines der letzten Gebiete in Bayern, in denen die Gämsen in noch wirklich großer Zahl vorkämen. Heute würden er und seine Kollegen die Tiere zählen. Und? – Die Zahl sei stabil. Und eigentlich, so erzählt er, bräuchte es mal wieder einen richtig ordentlichen Winter, denn allein mit der Bejagung wäre es schwierig, dass die Population gesund bliebe.

Er bestärkt mich kurz in meiner Hoffnung, dass es heute ganz so schnell kein Gewitter geben würde und sich die Runde um die Soiern gut machen ließe. Eine heiße Stunde später habe ich den Südanstieg zur Soiernspitze geschafft. Ich gönne mir eine ausgiebige Pause, finde einen perfekten Platz auf warmem Fels und döse in der Sommersonne ein. Später dann geht es weiter, immer weiter, im leichten Auf und Ab um den Kessel herum.

Als der Himmel binnen kürzester Zeit zuzieht, sich die Wolken orange verfärben und unter viel Geblitze und Getose ein saftiges Sommergewitter niedergeht, liege ich schon längst entspannt in meinem Bett unten im Tal. Ich denke an meine alte, neue Liebe.

Abgeperlt: Morgentau.
Abgeperlt: Morgentau.

Tipps

Anreise: Mit den Öffentlichen regelmäßige Anbindung über Garmisch-Partenkirchen bzw. Mittenwald nach Krün. Mit dem Auto Wanderparkplatz in Krün, direkt an der Isar. Für einen alternativen Start von Süden her an der B2 nahe der Isar-Seins-Brücke den Parkplatz am Seinsbach nutzen. Dort gibt es ebenfalls eine Bushaltestelle.

Varianten: Um aufs Soiernhaus zu gehen und auch den Soiernkessel zu umrunden, lohnt sich ein Blick in eine detaillierte Wanderkarte. Der einfachste Zustieg erfolgt von Krün in einem Bogen über die Fischbachalm, also von Norden her. An der Fischbachalm kann man sich entscheiden, dem Forstweg oder dem Lakaiensteig zu folgen; letzterer ist für erfahrene Berggeher etwa eine halbe Stunde kürzer als der Talweg.

Sehr empfehlenswert ist im Abstieg der Weg vom Soiernhaus nach Westen raus, über das Feldernkreuz; am Seinskopf dann entweder die Runde nach Krün schließen oder noch Signalkopf und Lausberg nach Südwesten mitnehmen. An entweder der Soiernspitze oder der Schöttelkarspitze gibt’s bei passendem Wetter eigentlich kein Vorbei. Der direkte Weg auf die Soiernspitze vom Soiernhaus her ist etwas mühsam, da es eine ganze Weile durch ein steiles Geröllfeld geht. Ein kleiner Superlativ der Soiernrunde ist es, vom Soiernhaus Richtung Südosten zur Jägersruh aufzubrechen, dann von Süden her auf die Soiernspitze zu gehen und  den Kessel – fast vollständig – bis zum Feldernkopf auszulaufen, bevor es an den Abstieg geht.

Wegzeiten: Natürlich lässt sich die Soiernhütte und die Soiernspitze auch an einem Tag machen, da läuft man allerdings einiges an Stunden zusammen. Mit folgenden Zeiten ist je nach eingeschlagenem Weg (etwa) zu rechnen: Markplatz Krün – Soiernhaus 3-4h; Soiernhaus – Soiernspitze 3-4h; Soiernspitze – Feldernkreuz – Krün etwa 4-5h.

Charakter: Einfach (blau) ist der Forstweg über die Fischbachalm zum Soiernhaus. Ebenso der Weg (im unteren Bereich ein Hatscher!) am Seinsbach entlang bis zur Vereinsalm, von dort über die Jägersruh zum Soiernhaus. Alle anderen Wege sind als mittelschwer (rot) gekennzeichnet. Für den Lakaiensteig (ab Fischbachalm) sollte man trittsicher und schwindelfrei sein. Vorsicht bei Nässe, vor allem im Abstieg! Für die Planung einer Umrundung des Soiernkessel mögliche Gewitter im Blick behalten. – Über längere Strecken keine Schutz- bzw. Abstiegsmöglichkeiten entlang des Gratwegs.

Übernachtung: Eine fantastisch gelegene Terrasse, ein sympathisches Hüttenteam, eine kleine und gute Speisekarte. – Die Soiernhütte ist beliebt. Daher: So unliebsam es mitunter sein mag; gerade rund um die Wochenenden, speziell zur Ferienzeit ist Vorbuchen ratsam. Übernachtet wird in vier aneinandergereihten, übersichtlichen Lagern. Einziger Wermutstropfen: Das Knarren des Holzfußbodens beim jedem einzelnen Schritt. Und bei bis zu 60 Schlafgästen kommen viele Schritte zusammen, garantiert. Der große Bergluxus: Vor wenigen Jahren wurden Trockenraum und Sanitärtrakt komplett neu errichtet – letzterer mit großer Panoramaussicht beim Zähneputzen.

Wenn’s noch ein paar Tage mehr sein sollen: An die Übernachtung auf dem Soiernhaus lässt sich auch sehr gut mit weiteren Hütten im Karwendel verbinden, zum Beispiel so wie hier beschrieben. Ab 2018 soll außerdem der Spitzenwanderweg ausgeschildert sein und auf etwa 200 Kilometern durch die Zugspitzregion und auch über das Soiernhaus führen. – Eine der Karte nach sehr schöne Wegezusammenstellung für jeden, der den Talkomfort bevorzugt und der vielleicht auch (noch) nicht ganz soviel Bergroutine hat. Ganz nebenbei gibt es eine Vielzahl der Highlights der Region zu sehen – vom Höllental über die Partnachklamm bis hin zum Schachen.

Königliche Bergresidenzen zum Weiterlesen: Einen Überblick über alle Berghütten von Ludwig II. gibt es hier. Königliche Hüttenträume hin oder her, Ludwig II. hat ein gutes Stück zum Mythos Bayern beigetragen, dem 2018 die bayerische Landesausstellung in Ettal gewidmet ist.

Transparenzhinweis: Das Soiernhaus habe ich während einer Recherchereise auf Einladung der Zugspitz Region GmbH nach viel zu vielen Jahren endlich wieder besucht.  

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