Niederlande Über Land

Das große Blühen

Keukenhof und die Blumenfelder

Ihr habt richtig Glück, die Blumen sind dieses Jahr schon gut weit“, strahlt mich Danique an, als ich ihr beim Frühstück von unseren Plänen für den Tag erzähle. Die junge Niederländerin betreibt seit etwa einem Jahr zusammen mit ihrer Mutter ein kleines Bed & Breakfast in Noordwijkerhout, das wir als Basis gewählt haben. Von hier aus wollen wir kurze Wege haben. Nach Leiden und nach Lisse. 

Genau genommen hat man von hier aus überallhin kurze Wege – fünf Kilometer und man steht am Sandstrand der Nordsee, selbst nach Amsterdam sind es nur gut dreißig Kilometer. Dazwischen: überall Blumenfelder. Vor allem die Narzissen und Hyazinthen liefern sich bereits den großen Farbabtausch. Hier und da strecken auch schon die Tulpen rote oder orange Köpfe aus dem Blattgrün.      

Tulpomania

Überhaupt: Tulpen. An ihnen gibt es hier im Frühling kein Vorbei. In Holland nicht; erst recht nicht im Bollenstreek, der Blumenzwiebelregion mit ihrem Epizentrum Lisse samt Keukenhof. 80 Prozent der weltweiten Tulpenproduktion stammen aus den Niederlanden. 

Im Herbst geht‘s für die Zwiebeln in die Erde, sie überwintern in Ruhe und strecken mit den steigenden Temperaturen ihre Köpfchen in die Sonne. Für die Blumenzwiebelzüchter ist vor allem das interessant, was in der Erde passiert: An der Mutterzwiebel entwickeln sich kleinere Tochterzwiebeln. Die Kunst besteht dann darin, die Pflanzen gut zu pflegen und den richtigen Zeitpunkt zu kennen, um die Zwiebeln zu ernten. Ein Teil der Zwiebeln geht später in den Verkauf, ein Teil wird für die Nachzucht verwendet. Dass die Blumenzucht gerade hier eine so große Rolle spielt, liegt an den sandigen Böden der Region.

Das ist die Quintessenz des kleinen Blumenzwiebel-Crashkurses, den ich ganz unerwartet von Leon bekomme, während er mir die Hollandräder aushändigt. Als Sohn eines Blumenzwiebelzüchters ist er mit Tulpen & Co aufgewachsen; jetzt arbeitet er im alteingesessenen Radverleih der Familie van Dam in Noordwijkerhout. Er gibt mir eine kleine Fahrradkarte mit auf den Weg, nicht ohne mir auch noch die Felder rund um Noordwijkerhout zu verraten, auf denen schon jetzt das große Blühen begonnen hat.

Keine zehn Minuten auf den Bikes und kaum raus aus dem kleinen Ort, halten wir auch schon am ersten Blumenfeld an. Wie viele zehntausend, hunderttausend oder noch mehr Hyazinthen werden das wohl sein, die uns ihren schweren Geruch entgegenschleudern? Wäre nicht der ganz leichte Brise von der Küste, mir würde der Kopf brummen.

Durch die Dünen

Wir hangeln uns vom einen zum nächsten Fahrradknotenpunkt, halten immer wieder an Blumenfeldern an, schlängeln uns bis nach Noordwijk aan Zee hinüber. Gelassen, nahezu über alle Farbenpracht erhaben, gibt sich die karge, sandig-monochrome Dünenlandschaft, die wir nun bis hinauf an den Strand Langevelderslag durchradeln. Als wollten sie eine Brücke schlagen zwischen Farbfülle hier und Leerraum dort, haben sich einige Osterglocken den Rand des Dünenradwegs als Standplatz ausgewählt. Als Geheimtipp ginge Langevelderslag sicher nicht durch, aber im Vergleich zur Beach-Club-gesäumten ersten Reihe in Nordwijk aan Zee ist es doch weitaus stiller. Genau der richtige Platz für eine Mittagspause.

Hinter den Dünen, etwas landeinwärts, radeln wir einen kleinen Extra-Schlenker. Die Cappuccino- und Kuchenlust ist groß. Auf der Wiese vor dem Como & Co, einem kleinen Café am Strand des Oosterduinse meer, werden gerade wie bestellt zwei bequeme Korbsessel frei und wir vertrödeln eine gute Weile.

Wir haben Zeit, denn unseren Besuch im Keukenhof haben wir erst für den Spätnachmittag angesetzt. Der Park geht auf ein mittelalterliches Landgut zurück, das Gräfin Jacoba von Bayern gehörte und wo sie im Küchengarten Kräuter und Gemüse für die Hofküche anpflanzte. Heute sind in dem weitläufigen Landschaftsgarten jedes Jahr für acht Wochen die Blumen von etwa einhundert niederländischen Blumenzwiebelzüchtern zu bestaunen. 

Shades of orange. – Was sonst.

Flower Power & Golden Hour

Für das Auge ist es nach dem Winter ja jedes Jahr das gleiche Spiel: Es giert förmlich nach Farbe. Waren schon die Felder ein kleines Farbparadies, ist Keukenhof das Frühjahrs-Schlaraffenland. So viel Farben und Formen. Ziemlich überfordert und etwas unschlüssig stehe ich dann auch erst mal zwischen den ersten Blumenrabatten. Und dann ist es die Kamera, die mir das Schwirren nimmt. Durch den Sucher kann ich mich auf Einzelheiten konzentrieren, kann die Überfülle drumherum ausblenden. Der Gedanke fasziniert mich, denn oft genug scheint es, dass durch das Fotografieren das unmittelbare Erlebnis der Umgebung in den Hintergrund rückt. Hier nun scheint es sich anders zu verhalten – es macht mir das intensive Erlebnis überhaupt erst möglich. 

Um es im Keukenhof so blühen zu lassen, pflanzen im Herbst 40 Gärtner händisch mehr als sieben Millionen Blumenzwiebeln. Die Pläne dafür sehen jedes Jahr anders aus. Haben die letzten Besucher Keukenhof im Mai verlassen, wird alles wieder aus dem Boden genommen und im September beginnt der Zyklus aufs Neue. 

Allmählich verschwindet die Sonne hinter den Bäumen und taucht den Park in ein sanftes Abendlicht. Ich koste die goldene Stunde aus und nehme die Erinnerung an das warme Leuchten der Tulpen mit.  

Inspirationsgarten in Keukenhof.
Let’s play the piano.
Keukenhof in Holland
Vor allem im hinteren Teil von Keukenhof ist die lange Geschichte des Landschaftsparks spür- und sehbar.

Tipps und Wissenswertes

Der Bollenstreek: Die niederländische Blumenzwiebelregion zwischen Haarlem und Leiden. Riesige Blumenfelder. Mittendrin Keukenhof.

Unterwegs mit dem Fahrrad: Nicht so langsam wie zu Fuß, nicht so schnell wie mit dem Auto – die sicher beste Art, der Blütenorgie im Bollenstreek nahe zu kommen. Wer nicht eh sein eigenes Fahrrad dabei hat, kann sich vielerorts eines mieten. Direkt am Keukenhof verleiht Rent-a-bike van Dam; der Hauptverleih (samt Fahrradladen) ist in Noordwijkerhout. Wer ganz sicher sein will, ein Bike zu bekommen, reserviert vorab online.

Übernachten: Noordwijkerhout hat sich für uns als gute Wahl unseres verlängerten Niederlande-Wochenendes entpuppt. Ein kleiner Ort, in dem sich ein paar Läden und Restaurants in den Sträßchen rund um die weiße Kirche versammeln. Eine Gehminute entfernt befindet sich das freundlich geführte Bed & Breakfast De Raetkamer mit sechs Zimmern.

False friends: Meer und See, zee und meer. – Zumindest für deutsche Muttersprachler mag es etwas euphemistisch klingen, wenn man beispielsweise am Oosterduinse meer steht und auf einen mehr als überschaubaren See schaut. Grund dafür sind falsche Freunde im Doppelpack: das niederländische „meer“ ist der deutsche „See“; „zee“ wiederum ist das „Meer“.

Ausflug nach Leiden: Mit ein bisschen mehr Zeit bietet sich auch ein Ausflug nach Leiden, zur ältesten Universität der Niederlande an. Im dortigen Botanischen Garten blühte die erste holländische Tulpe. Zeit mitnehmen und auch noch das Café-Flair genießen. Mit dem Fahrrad empfiehlt sich auf dem Weg nach Leiden einen Bogen rund um den Kagerplassen, ein verzweigtes Seengebiet, zu schlagen. Man radelt durch ein altes Hochmoor. Seitdem das Moor trockengelegt und kultiviert wurde, pumpen die Windmühlen überschüssiges Wasser ab – einige von ihnen noch heute. Beenden kann man das Abpumpen nicht, denn das Land würde sehr schnell vernässt und überflutet.

Graureiher, gestreift.

Der Keukenhof hat mir freien Eintritt gewährt; Rent-a-bike van Dam hat mir die Räder für einen zweiten Tag überlassen, so dass wir auch nach Leiden ohne Auto unterwegs waren. In der Universitätsstadt liegt die eigentliche Wiege der niederländischen Tulpomanie.

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