Münchner Momente

#Bildschön

Blau-weiße Landschaftsstimmungen

Landschaften sind alles. Und doch ohne Himmel, ohne Wolken nichts. Denn woher, wenn nicht von dort, ließe sich sonst aus einem Bild die ganz besondere Stimmung des dargestellten Augenblicks ablesen?

Es ist ja so: Wir sehen ein Bild und sind in der Lage, uns aufgrund unserer Erfahrungen hineinzuversetzen. Wir wissen um dieses sorgenfreie Gefühl eines heißen Sommertags mit weißen, wie Zuckerwatte wirkenden Wolken am blauen Himmel. Wir kennen die Mystik, die von nebelverhangenen Stunden ausgehen kann. Und wir ahnen, dass dieser Regenschauer vor den gar nicht so weit entfernten Bergen zwar ganz schön kräftig ist, er aber wohl nicht bis zu uns reichen wird.

Auf Letzteres jedenfalls würde ich tippen, wenn ich die Vorgebirgslandschaft bei Murnau von Carl Rottmann betrachte. – Ein im Format an und für sich recht unscheinbares, und doch auf mich gewaltig wirkendes Bild:

Ich sehe einen Tag, wie er im Frühsommer nur allzu gerne am bayerischen Alpenrand verläuft. Morgens blauer Himmel, maximal ein klitzeklein wenig verschleiert, und eitel Sonnenschein. Im Laufe des Tages brauen sich dann Wolken – erst weiß, dann grau, später mitunter fast schwarz – zusammen, die sich am Spätnachmittag in einem Sommergewitter entladen. Mehr oder minder kräftig und oft sehr lokal.

In Rottmanns Vorgebirgslandschaft also: Kurzer Weltuntergang in Ohlstadt und Eschenlohe, während am Grat zwischen Herzogstand und Heimgarten wohl alles einigermaßen trocken bleibt.

Das Bild von Carl Rottmann habe ich in der aktuellen, sehr sehenswerten Ausstellung „Bildschön“ im Lenbachhaus entdeckt, in der Gemälde aus dem 19. Jahrhundert neu gehängt wurden. Vor allem Landschaften und Porträts werden gezeigt.

Das 19. Jahrhundert war, wie man in den kurzen, kulturhistorischen Ausstellungstexten erfährt, das Jahrhundert der Bilder. Die Künstler zogen damals in Scharen aus der Stadt aufs Land, fanden dort ihre Motive. Von den schönsten Landschaften schickten dann bald auch die Sommerfrischler gemalte Ansichtspostkarten nach Hause.

Okay, leider zu viele Spiegelungen an dieser Wand, aber: Warum genau finden wir solche Landschaften eigentlich #bildschön?

Man kann es sich denken: Ein wenig Schwärmerei der Sommerfrischler hier, ein bißchen die Idee bei den Daheimgebliebenen, genau das auch mal mit eigenen Augen zu wollen, dort. Das ganze angefeuert durch die Presse, die durch neue Technologien im 19. Jahrhundert eine deutlich weitere Verbreitung fand. – Fertig ist das (Hamster-)Rad der touristischen Sehnsüchte. Aus dem wir bis heute nicht herausgefunden haben.

Schließlich wollen wir träumen; von dem, was sein könnte. Nach wie vor sind wir begeistert von den Stimmungen, die allein Licht und Luft zaubern. Wir wollen selbst sehen. Und das, was wir sehen, wollen wir mit anderen teilen. Ganz schnell und einfach, mit dem Smartphone. Wenn also das 19. Jahrhundert das Jahrhundert der Bilder war, dann sind wir 200 Jahre später im ultimativen Bildflut-Jahrhundert angekommen.

Die Sehnsüchte nach dem Land sind dabei stärker denn je. Auch, weil unser Leben immer städtischer ist. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte München gerade mal 100.000 Einwohner. Heute sind es um die 1,5 Millionen. Auch heute wollen viele von uns in der Freizeit ein bisschen Land statt Stadt. Lieber öfter als seltener. Ein bisschen urban outdoor zumindest wollen wir erleben. Nicht allzu anstrengend bitte, aber mit dem besonderen Blick.

Die Bilder, die wir am häufigsten sehen, stammen konsequenterweise auch heute von einigermaßen unstrapaziöserreichbaren Orten. Spitze Zungen würden behaupten: Was früher für die Älteren auf einer geführten Rundreise der Eiffelturm in Paris war, ist heute für die Jüngeren auf einem individuellen Roadtrip der Hintersee bei Ramsau. Beide sind eben #bildschön anzuschauen. Und hier wie dort ist der Grat zwischen Abhaken und Erleben schmal.

Sicher ist fast immer: Wir machen Bilder. Vielleicht hübschen wir sie mit einem Filter auf. Vielleicht sind wir besonders glücklich, dass der Moment auf dem Foto genau so rauskommt, wie wir ihn erlebt haben und fügen neben #bluesky oder #clouds und 25 anderen Hashtags stolz noch ein #nofilter hinzu. Auf dass Sehnsüchte geweckt und bedient werden. Auf dass es eine hübsche Erinnerung ist. Auf dass es heißt: „Wow, ist das Bild schön! ?“.

Am fantastischsten ist aber der Moment selbst. Das wissen wir längst. Oder wir ahnen es zumindest: Das genussvolle Einfach-nur-in-den Sonnenaufgang-Starren. Oder das Den-weißen-Wolken-beim-am-blauen-Himmel-Dahinziehen-Zuschauen. #Bildschön ist das. Ahne Wenn und Aber. Ganz egal, was das Abbild sagt und ob überhaupt ein Bild festgehalten ist.

Fazit: #Bildschön – eine kleine, feine Ausstellung im Lenbachhaus. Genau das Richtige für einen freien Nachmittag, den man in der Stadt statt auf dem Land verbringen möchte. Eine Ausstellung, die vermittelt, wie noch heute die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts auf uns und unsere eigenen Landschaftsbilder wirkt. Die Anfang 2017 neu sortierte und neu gehängte Ausstellung ist – voraussichtlich bis Ende 2018 – dauerhaft zu sehen.

Mitten in der Ausstellung gemütlich in einigen Bibliotheksbeständen stöbern.

(Titelfoto: Carl Rottmann (1797 ‐ 1850) – Vorgebirgslandschaft bei Murnau (Wolken), 1830er Jahre, Inv. Nr. G4448. [Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus, München] – Danke an das Lenbachhaus für die Nutzungsrechte.)

Dieser Artikel ist Teil der aktuellen Blogparade „Weiß-Blau, Blau-Weiß“ der Münchner Ironblogger. Gestern hat Lutz, der Irgendwie ein Wassermann ist, aus seinem liebsten Element berichtet und über die Farben des Wassers (und ein bisschen der Wolken) sinniert. Morgen ist Matthias an der Reihe. In früheren Blogparaden haben die Münchner Ironblogger zum Thema „Leidenschaft“ sowie auch zu „München“ geschrieben.

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