Münchner Momente

Shades of White

Kanada und seine Impressionisten 

Weiß ist keine Farbe, Weiß ist ein Zustand. Weiß ist, wenn alles Licht reflektiert wird. Im Winter reicht dieses Weiß von Schnee bis Schmuddel. Es ist eine Ahnung vom Grün der zugedeckten Tannen genauso wie das Purpur des Sonnenuntergangs, der sich auf dem weichen Flockenteppich suhlt. 

Beim Betrachten von Wintergemälden ist Weiß, selbst in einem wohltemperierten Museum praktisch immer auch die fast sinnliche Erfahrung von Kälte. So wie bei den Malern, deren Bilder in der Ausstellung „In einem neuen Licht. Kanada und der Impressionismus“ in der Kunsthalle München zu sehen sind. 

Ausstellung, geführt

Wobei es selbst in den wenigen Münchner Kunsthalle-Räumen eine ganze Weile dauert, dass man sich von den Sommerszenen der Côte d’Azur bis in die winterlichen Wälder Kanadas vorgearbeitet hat. Auf dieser Reise war ich nicht solo unterwegs, sondern schloß mich einer öffentlichen Führung an. 

Früher oder später kommt man wohl ganz unweigerlich auf den Geschmack von Führungen. Denn Führungen haben entscheidende Vorteile: natürlich fällt die grobe Einordnung mit Unterstützung leichter. Details, die man sich sonst mühsam erarbeiten müsste, werden in verständlichen Portionen gereicht. Dann wieder wird die Aufmerksamkeit auf ganze Kunstwerke oder einzelne Details gerichtet, die man allein komplett übersehen hätte. In gewisser Weise ersetzt eine Führung auch das Nachlesen.

Erklärt: „Moret, Winter“ von Maurice Cullen

Wenn das Nachlesen überhaupt möglich ist. Über den kanadischen Impressionismus erklärt unsere Ausstellungsführerin Evelyn Heller gleich zu Beginn: „Dieses Kapitel der Kunstgeschichte muss erst noch geschrieben werden.“ Selbst in Kanada seien die eigenen Impressionisten weitgehend unerforscht und unbekannt. So stammen viele der Gemälde, die in der Münchner Ausstellung zu sehen sind, aus Privatbesitz; nur ein einziges der Bilder gehört einem europäischen Kunstmuseum. 

Auf nach Frankreich 

In den 1880er Jahren kamen angehende kanadische Künstler nach Paris, ihr Fach zu studieren. Die Metropole galt damals als Nabel der Welt und als Sprungbrett in die Künstlerlaufbahn. 

Dass gerade die französischen Impressionisten bald eine Reihe junger Kanadier in ihrem künstlerischen Ausdruck beeinflussten, kam nicht von ungefähr: Natur und Landschaft waren an der Pariser Akademie verpönt; ihnen galt aber das Hauptinteresse der Impressionisten. Die Kanadier konnten damit wohl ebenso schnell etwas anfangen, denn an Landschaft mangelte es auch daheim nicht. 

Zurück nach Kanada

So gilt James Wilson Morrice heute als „Poet der Landschaft“. Er blieb 35 Jahre in Paris und ist mit besonders vielen Bildern in der Ausstellung vertreten. Andere gingen schnell wieder nach Kanada zurück. Wie Maurice Cullen, der den Impressionismus, wenn man so will, mit nach Kanada brachte und auch Vermittler für die nachfolgende Künstlergeneration wurde. 

The snow borrows the tones of the sky and the sun. It is blue, mauve, grey, even black, but never entirely white.

Maurice Cullen

Landschaft, gerne weit und noch lieber weiß, ist auch mein Ding. Einmal mehr bemerke ich das, als sich unsere Gruppe durch die Ausstellung schlängelt. Ganz unumwunden: Die Eindrücke der ersten Ausstellungsräume, in denen vor allem sommerliche Strandmomente festgehalten sind, berieseln mich höchstens visuell. Details häuslicher Szenen hätte ich wohl übersprungen und gar nicht erst wahrgenommen, wären da nicht die spannenden Erläuterungen unserer Museumsführerin. Regelrecht packen können mich dann die hinteren Räume. In ihnen begleiten wir die kanadischen Impressionisten auf ihrer Reise durch das Land. 

Es ist eine Landschaftsmalerei mit Hinweisen auf die Industrialisierung. So malten sich die Impressionisten die Landschaft nicht einfach schön und rein. Sondern sie nahmen ganz bewusst Hinweise auf die Industrialisierung mit auf. So sind Strom- oder Telefonkabel etwas ganz Normales in ihren ländlichen Szenen. Und wo dann noch ein Flurkreuz vor runden Bergkuppen steht, erinnert dieses Kanada ganz und gar an Oberbayern.

Interessant das Detail, dass Künstler zu jener Zeit kostenlos die kanadische Eisenbahn nutzen konnten. Im Grunde ein sehr frühes Beispiel von ganz klassischer Öffentlichkeitsarbeit, die damals noch in den Kinderschuhen steckte: Freifahrten im Tausch für Sehnsüchte, wenn man so will. Denn die Landschaften (häufig aus den Nationalparks der jungen Nation), die die Künstler auf ihren Reisen festhielten, faszinierten auch die Daheimgebliebenen. Die Sehnsucht, das Fernweh, wuchs. Und im Laufe der Zeit wollten immer mehr Leute mit der Bahn an die Orte reisen, die auf den Bildern zu sehen waren. 

Close-up: Group of Seven

Canadian Roamers 

Zum Abschluss setzt die Ausstellung noch einen besonderen Schwerpunkt bei der Group of Seven. Überspitzt formuliert die kanadischen Instagrammer ihrer Zeit. Denn diese 1913 von sieben Landschaftsmalern gegründete Gruppe stellte erstmals gemeinsam Bilder der kanadischen Weite aus und machte ein großes, zumeist städtisches Publikum damit vertraut. Die Gruppe wird gleichzeitig oft für den schwärmerischen Inhalt ihrer Bilder kritisiert, die Kanada als von Menschen unberührt darstellen. Das tat und tut der Kunst aber keinen Abbruch. Heute werden die Gemälde der Group of Seven als identitätsstiftend für die Kanadier gewertet. So ist das Bild „Roter Ahorn“ von Alexander Young Jackson ein Inbegriff kanadischer Kunst.      

Die Ausstellung, die zum ersten Mal überhaupt in Europa Meisterwerke kanadischer Impressionisten zeigt, ist noch bis zum 17. November 2019 in München zu sehen. Und erst nach einer kleinen Europatournee wird sie in Kanada selbst zu sehen sein. Vielleicht ließe sich der Ausstellung ja sogar dorthin nachreisen. Die Sehnsucht nach Kanada ist jedenfalls (erneut) entfacht. 

Headerfoto: The Red Maple, A.Y. Jackson, National Gallery of Canada, Ottawa

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