Eine winterliche Reise ins Gailtal

Mit Abstand sieht man die Dinge oft präziser. Mit Raum und Zeit zwischen dem, was man erlebt und dem, was nachhallt. So ist spontane Begeisterung das Eine, ein auch nach Monaten noch anhaltendes gutes Gefühl das Andere.

Nicht erst jetzt, zu Beginn des neuen Winters, denke ich nochmals an den vergangenen, als ich einige Tage ins Gailtal verbrachte. Doch jetzt haben diese Erinnerungen eine ganz eigene Wirkung: Von ihnen geht eine Heimeligkeit aus, die tief in die Kindheit zurückzeigt und die mich an die Großeltern denken lassen. Vor allem sind das Erinnerungen an lange Winterabende im Dorf, an viele Stunden am warmen Kachelofen.

Überhaupt lag an diesen Januartagen über dem Gailtal eine angenehm-träge Ruhe. Jene Ruhe, die an längst vergangene Zeiten erinnert, als die zügellose Zersiedelung und Zerstückelung der Landschaft, wie wir sie vielerorts erleben, verfluchen oder auch einfach hinnehmen, noch in weiter Ferne lagen.

Wir waren von Osten her, über die Bezirkshauptstadt Hermagor und mehrere kleine Dörfer, ins Tal hineingekommen. Auf einer Straße, die sich durch einen breiten Talboden schlängelt, auf dessen Nord- und Südseite sich die Berge erheben. Mal mehr, mal weniger schroff. Von St. Daniel, wo wir zum Biohotel der Daberer abbogen, führt die Talstraße noch bis nach Kötschach-Mauthen weiter. Doch dahin sollte es erst später gehen.

Wintermorgen

Ich erwache, als die Morgensonne den auf Blau wabernden Wölkchen gerade einen kräftigen Rosé-Touch verpasst. Bis es die Sonne selbst über die Bergkuppen schaffen würde und sich damit auch das Tal aus dem Schatten schälen könnte, wird noch einige Zeit vergehen. Ich liege im Bett, schaue auf die Berge auf der anderen Talseite und denke nach: Hermagor, St. Daniel, Kötschach-Mauthen. – Seltsam vertraut klingen die Namen. Obwohl wir doch erst am Vorabend hier angekommen sind und vorher noch nie im Gailtal waren. Es dauert eine Weile, bis mir bewusst wird, warum. Dass hier ein Bergkrimi spielt, den ich vor einiger Zeit erst lange ignoriert und dann fix verschlungen habe: Der Grenzgänger, der den Leser ins hiesige österreichisch-italienische Grenzgebiet mitnimmt.

Winternachmittag in St. Daniel im Gailtal

Das Gailtal darf noch immer als ein eher unbekanntes Eck Österreichs gelten. Doch es ist anzunehmen, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird. Denn seit Kurzem wirbt das Gailtal gemeinsam mit dem westlich anschließenden Lesachtal als erste Slow Food Travel Region um die Gunst der Gäste. Dabei wird einfach das weitergeführt, was man schon seit langem macht und nie wirklich vergessen hat: Sorgsam mit den Böden umzugehen und verantwortungsbewusst Genussvolles zu kreieren. Um also saubere Lebensmittel herzustellen.

Die Slow-Food-Idee, die unverkennbare Antwort auf „Fast Food“, verbreitet sich seit 1986 vor allem durch die gleichnamige Non-Profit-Organisation, die damals im Piemont aus Protest gegen die erst italienische McDonalds-Filiale gegründet wurde. In mehr als 130 Länder hat sich die Slow-Food-Idee seither verbreitet. Am bekanntesten ist die rote Slow-Food-Schnecke sicher von Gasthäusern.

Im Gailtal und Lesachtal finden sich besonders viele Produzenten handwerklich erzeugter Lebensmittel, so dass die Region nun in dem Slow-Food-Modellprojekt um Aufmerksamkeit buhlt. An und für sich, könnte man meinen, wäre der Sommer der viel bessere Moment, um aus den Vollen zu schöpfen: Da ließen sich auf dem Bienenlehrpfad in Sellach Bienen bei der Arbeit beobachten. Oder man dürfte der Bergbäuerin am Jörgishof beim Buttern und Käsen helfen. Und auf dem Bauernhof Brandstätte wäre man dabei, wenn der Gailtaler Weiße Landmais geerntet und verarbeitet würde.

Sommer wie Winter – im Daberer kommt die geballte Ladung des guten Geschmacks jeden Tag auf den Tisch: Familie Daberer führt das Haus – einst ein Heilbad mit eigener Quelle – schon seit 1978 „bio“ – zunächst als Pension, dann immer wieder erweitert und weiterentwickelt zum jetzigen Hotel mit Wellness-, Yoga- und Saunaangeboten. Sowie vor allem mit einem großen „Wohnzimmer“, das mitsamt Kaminecke und Silbensalon ruhig als das gemütliche Herzstück des Hauses gelten darf.

Auf dem Frühstücksbuffet ist dann auch das Slow-Food-Who-is-Who des Gailtal versammelt: Brot und Gebäck aus der hauseigenen Backstube sowie von der Bäckerei Matz in Kötschach, Speck vom Grünwald-Hof in St. Daniel, Hirschsalami vom Lenzhof. Dort wird auch die Daberer-Forelle – die Teiche sind gleich hinter dem Hotel – geräuchert. Hausgemachter Liptauer und Topfen-Kräuteraufstrich. Dann noch Marmeladen und Käse.

Eigentlich ließe sich den ganzen Vormittag frühstücken …

Wintertage

… wenn da nicht dieser Drang wäre, raus in die Natur zu gehen.

Ins Auto zu steigen und hinauf zum Weissensee zu fahren, erscheint zwar etwas unnötig, denn wir sind nur ein paar Tage hier und der Weg ist dafür eigentlich zu weit. Aber die Aussicht, auf einer Superlativ-Natureisfläche eine riesige Runde mit den Schlittschuhen drehen zu können, ist einfach zu verlockend. Zumal der Weissensee nur selten so vollkommen zufriert.

Dafür geht es an den übrigen Tagen ganz beschaulich vor Ort zu. Wir sehen uns in den Talortschaften um, gucken beim Bäcker und beim Edelgreißler in Kötschach vorbei, statten dem kleinen Dorfladen in St. Daniel einen Besuch ab.

Dorfansichten, Landschaftsansichten: St. Daniel

Und: Wir wollen unsere neuen Langlaufski ausprobieren. Unsere Annahme, dass die Langlaufloipe in der Nähe des Orts trotz des ansonsten weit zusammengeschmolzenen Schnees schlicht deshalb weiß und befahrbar sei, weil sie geschützt im Wald läge, erweist sich als falsch. – Nach zwei Runden lassen wir etwas ernüchtert von dem künstlich in die grün-braune Landschaft gelegten Schneeband ab. Dann lieber Winterwandern.

Jägerin Sigrid nimmt uns an einem Vormittag gemeinsam mit anderen Daberer-Gästen zu einem waidkundlichen Spaziergang mit. Bei ihr frischen wir unser Fährtenlese-Fähigkeiten ein wenig auf. Wir erfahren, dass in Kärnten zwei Bären leben und dass außerdem zwei Luchspaare eingesetzt wurden. Als wir an einer Waldschonung vorbeikommen und an den Spitzen der Bäumchen Schafwolle hängt, lernen wir, dass das ein Verbissschutz ist. So brauchen keine Plastikkappen eingesetzt werden, um die Baumspitzen, die für das Wild ein besonders feiner Leckerbissen wären, zu schützen.

Wir Winterwanderer dürfen uns zum Abschluss aber schon über einen Gaumenkitzler in Slow-Food-Manier freuen: Aus dem großen Jägerrucksack fördert Sigrid nacheinander Rehbratwürschtl und Gamsalami hervor, Leberwurst und Hirschrohschinken, Apfelbrot und Kräcker. – „Und a Jäger ohne Schnaps darf auch nicht sein.“

Winterabende

Neben dem waidkundlichen Spaziergang habe ich auch andere Angebote entdeckt, bei denen sich im Hotel der Winter-Lebensstil-Modus genießen lässt: Während eines Kino-Abends in der Kärntner Stube sehen wir endlich wieder einmal das „Grandhotel Budapest“. Ein anderer Abend steht unter dem Motto „handgemacht“ und in einer Runde von sechs Frauen – „Es sind schon auch hin und wieder Männer dabei“ – stricken wir Mützen, Schals oder was wir sonst so gerade auf der Nadel haben.

Später dann lockt der Kamin. Jetzt heißt es nur noch: In gebührendem Abstand in das Sofa sinken. In die Flammen schauen. Die Wärme aufsaugen. Das Wohlgefühl spüren. Die Heimeligkeit auskosten.

Das ist, was bleibt.

 

Das Gailtal habe ich während einer Einladung des Biohotel der Daberer kennengelernt. 

 

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