Wegführung

Überraschung im Hochgebirge

Östlich von Sölden ist sie zu finden, die „stille Seite“ des größten Ortes im Ötztal, der sonst eher für seinen trubeligen Skitourismus bekannt – und wegen ihm mitunter gemieden – ist.

Trotz aller Vorfreude habe ich meine Erwartungen tief gehängt: Im Vorjahr dieser Wanderung waren wir auf der Zillertaler Runde unterwegs. Diese würde sicher schwer zu toppen, dachte ich mir. Doch bereits der erste Tag auf den wenig begangenen Wegen lässt erahnen, dass ich eines Besseren belehrt werde …

Erste Etappe: Von Sölden zum Brunnkogelhaus

Wenn man – falsch – im Kopf hat, dass die Hütte auf einer verhältnismäßig niedrigen Höhe befindet, ist klar, dass spätestens auf 2.500 Höhenmetern die Verwunderung groß ist: Darüber nämlich, dass das Gelände schon am ersten Tag recht alpin daherkommt.

Auf 2.735 liegt es, das Brunnkogelhaus. Von Sölden sind 1.400 Höhenmeter zu bewältigen. Schon an diesem ersten Tag ist mit „stille Seite“ nicht zu viel versprochen. Wir sehen kaum einen Wanderer, insgesamt sicher nur sechs Personen. Selbst bei stabilerem Wetter als aktuell sind hier wohl nie die Massen unterwegs.

Und bereits am ersten Abend die Vermutung: „Söldens stille Seite“ könnte beeindruckender werden als gedacht.

Aufstieg zum Brunnkoglhaus

Zweite Etappe: Ins Passeiertal

Ein anstrengend-schöner Tag: Eigentlich müsste jetzt Hochsommer sein. Doch als wir aus unserem Zimmerfenster schauen, liegt da eine dünne Schicht Schnee. Willkommen am Alpenhauptkamm! Wir zögern unseren Aufbruch so lange wie möglich hinaus. Und als wir bei 4 Grad am Brunnkogelhaus aufbrechen, sind wir glücklich über Mütze und Handschuhe. Der Steig hinüber zum Timmelsjoch ist gut zu gehen, höhentechnisch immer knapp an der 3.000er-Marke entlang: Rötkogel (2.892m), Wilde Rötespitz (2.965m) und der Berg ohne Name (2.968m). Bei gutem Wetter muss die Aussicht grandios sein. Heute für uns: Bescheidene Sicht. Schneesturm. Hinter der höchsten Erhebung, dem – zumindest laut unserer Karte – Berg ohne Name, suchen wir recht lange den Abstiegsweg. Irgendwann finden wir wieder rote Markierungen auf den Steinen. Wir sind wieder auf dem richtigen Pfad.

Das Gelände wird sanfter, grüner. Am Timmelsjoch machen wir eine lange Pause, denn hier gibt es eine Vielzahl von Kunstinstallationen. Weiter hinunter ins Passeiertal. Von schön bis lieblich reichen die Blicke. Unsere Bergrunde überlappt sich nun mit dem Weitwanderweg E5. Unsere Unterkunft, der Gasthof Hochfirst, ist auf Wanderer eingestellt. Unter dem Dach gibt es ein komfortables und helles Lager mit Doppelstockbetten. Dazu zwei Duschen. Schmackhafte Bergkost. – Was braucht der Wanderer mehr?

Timmelsjoch

Dritte Etappe: Zur Siegerlandhütte

Je nachdem, wie die Bedingungen sind und wieviel Zeit man mitbringt, spricht nichts dagegen, die Etappe vom Gasthof Hochfirst in zwei Tagen zu gehen. In diesem Fall ist die erste Etappe bis zur Schutzhütte Schneeberg einfach. Und vor allem kurz. Weniger als drei Stunden benötigt man. Den Rest des Tages kann man nutzen, um ausgiebig das ehemalige Knappendorf samt Erlebnisbergwerk zu erkunden.

Wir indes sind heute Getriebene: Spätestens zum Abend soll es wieder schneien. Bevor es noch mehr würde, sollten wir wieder auf der anderen Alpenhauptkamm-Seite sein, hatte der Wirt uns morgens empfohlen, sonst würde es schwierig bis unangenehm. Bei Sonnenschein und einem lieblichen Weg durch Wälder und Wiesen zunächst kaum vorstellbar …

An der Schutzhütte Schneeberg fällt unsere Pause also nur kurz aus. Ein heißer Kakao, ein kurzer Spaziergang über das Gelände, ein „Hierher-wollen-wir-gerne-mal-mit-etwas-mehr-Zeit-wiederkommen“ muss für heute genügen.

Später über die Karlsscharte, hinunter in ein von Gletschern gezeichnetes Tal, am Timmeler Schwarzsee vorbei und hinauf auf die Windachscharte. Zeitiger als erwartet setzt der Schneefall erneut ein. Auf der Nordseite der Windachscharte ist es etwa so, wie wir es uns vorgestellt hatten: Bereits vom Vortag deutlich mehr Schnee. An der Scharte geht es rund 100m am Grat entlang, bevor wir durch Geröll und das eine oder andere Schneefeld querend, stetig Höhe verlieren. Keine Spuren. Niemand, der heute oder in den letzten Tagen den Weg gegangen war.

Auf der Siegerlandhütte sind wir mit nur vier weiteren Gästen. Zwei davon Einheimische, die uns helfen, ein paar possierliche Tierchen zu identifizieren, die wir unterhalb von Schneeberg gesehen hatten. Es stellt sich heraus, dass es Hermeline waren.

Hermelin (c) CvG

Vierte Etappe: Zur Hildesheimer Hütte

Was für ein fantastischer Morgen: blitz-blank-blauer Himmel, gleissender Sonnenschein. Dazu beim Aufbruch gegen halb neun hart gefrorener Boden. Erneut sind Handschuhe und Mütze angesagt.

Hinter jeder Kurve ein Blick schöner als der andere. Die Etappe ist mit fünf Stunden sehr überschaubar und so steht einer langen Pause nichts im Wege. Das Gamsplatzl bietet sich perfekt dafür an. Später, auf der Hildesheimer Hütte, ist der Gastraum tatsächlich recht voll. An den Nachbartischen geht es vor allem um zwei Lokalgrößen: Zuckerhütl und Wilder Pfaff. Um noch geplante und schon genossene Touren dorthin.

Abgesehen davon sind viele Familien hier. Genauer: Viele niederländische Familien. Die Hütte ist fest in niederländischer Hand, weshalb auch der Hüttenwirt recht gut niederländisch sprechen kann. Früher seien wohl vor allem englische Bergsteiger-Gruppen auf die Hildesheimer und Siegerlandhütte gekommen. Später waren und sind es noch immer Niederländer. Das erklärt’s.

Auf dem Weg von der Siegerlandhütte zur Hildesheimer Hütte

Fünfte Etappe: Zur Hochstubaihütte

Allein der Name „Hochstubaihütte“ verspricht ein außergewöhnliches Wandererlebnis. Und sie macht ihrem Namen alle Ehre, denn immerhin liegt sie auf 3.173m. Was sie zu einer der höchstgelegenen Alpenvereinshütten in den Ötztaler und Stubaier Alpen macht.

Zum Wegbeginn berühren wir kurzzeitig das Gletscherskigebiet, das vom Stubaital aus hierhinauf reicht. Diesen Gletscherkontakt hatten wir uns deutlich spannender vorgestellt. Doch es geht nur auf einem deutlich markierten und planierten Weg einmal quer hinüber, bevor es einige hundert Meter hinunter und damit auch schnell aus dem Gletscherskigebiet hinaus ging.

Schon bald wieder dieses Gefühl von unberührter Natur. Der Weg hinüber zum Warenkar war wohl erst vor einigen Jahren wieder hergerichtet worden. In noch gar nicht so alten Karten ist er nur als Pfadspur zu finden.

Später bietet sich der Seekarsee für eine nochmalige Pause an. Danach dürfen wir uns 600 hm hochschwingen. „Hochschwingen“ mag reichlich antiquiert klingen, allerdings trifft es für mich hier den Kern der Sache. Recht fix geht es hinauf, die letzten Meter sind seilversichert. An diesem Nachmittag können wir die Seilsicherungen sehr gut gebrauchen, denn es liegt einiger Schnee auf dem Weg. Auf der Kuppe dann die Überraschung: Auf einem recht großzügigen Plateau liegt die Hochstubaihütte. Der Wirt begrüßt uns an der Tür. Mit einem Obstler.

Tür zur Hochstubaihütte
Tür zur Hochstubaihütte

Sechste Etappe: Zurück nach Sölden

Wieder einmal schneit es. Später, weiter unten, geht’s in Regen über. Wahrscheinlich deshalb ist die Etappe nicht sonderlich im Sinn geblieben. Bei besserem Wetter ließe sich sicher an mancher Stelle wunderbar rasten.

Für uns bleibt das Fazit: „Söldens stille Seite“ bleibt bis zum letzten Tag ihrem Namen treu. Es ist die wirklich stille Seite eines Alpenortes, der sonst eher durch seinen Massentourismus und die damit verbundenen Auswüchse bekannt ist. Insgesamt eine abwechslungsreiche Runde. Gut zu empfehlen für alle, die eben solche stillen Wege suchen. Und für alle, die sich von Sölden überraschen lassen wollen.

Söldens stille Seite 12

Tipps: 

„Söldens stille Seite“ ist technisch nicht besonders anspruchsvoll. Meist bewegst Du Dich auf leichten und mittelschweren Wegen. Allerdings schnupperst Du an einigen Stellen Höhenluft und bist auf mehr als 3.000m. Deine Ausrüstung sollte entsprechend angepasst sein. Schnell wird’s hier bei einem sommerlichen Wintereinbruch unangenehm garstig!

Von der Hochstubaihütte empfiehlt sich eine Mini-Tour zum Hohen Nebelkogl (3.211m), dem Hausberg der Hütte. Entfernung: Ein paar Steinwürfe.

Und hier noch ein paar Fotos von „Söldens stiller Seite“.

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