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Nu aba ran an de Buletten

Mitten ins Herz: Sieben Tage auf dem Berliner Höhenweg

Eine Dusche. Mit kaltem Wasser. Im Freien. Auf knapp 2.000m. Mit Gletscherblick. Man könnte meinen, dass man nicht einen einzigen Blick für den Gletscher hat, wenn man bei acht Grad Wassertemperatur damit beschäftigt ist, die Spuren des anstrengenden Aufstiegs aus dem Tal von sich zu waschen. Aber weit gefehlt! Es wäre ein Frevel, diesen Moment an der Gamshütte, mitten im Herzen der Zillertaler Alpen, nicht ausgiebig zu genießen. Aufzusaugen und auf immer und ewig in die ganz persönliche Festplatte der Erinnerung zu brennen.

Tag 1 – Zur Gamshütte

Berliner.Höhenweg.1

Outdoor-TV gab’s heute, am ersten Tag unseres Berliner Höhenwegs, auch schon: Mitte Juli und die Sonne brennt erbarmungslos. Rund 1.000m ging es vom Talboden des Zillertal hinauf zur Gamshütte. Viel zu heiß eigentlich, weshalb wir froh um die kleine Schutzhütte waren, die wir am Wegesrand entdeckten. Nach vorn eine große Sichtluke, die an einen überdimensionierten Fernseher erinnert.

Mit dem schönsten Naturprogramm. Ganz hinten, drüben, auf der anderen Seite des Tales werden wir also runterkommen. Doch dieser Moment ist noch eine Woche, 70 Kilometer, mehr als 6.500 Höhenmeter, unzählige neue Eindrücke und einige neue Freundschaften entfernt.

Hier auf der Gamshütte ist es viel ruhiger als auf den Hütten, die ich kurz vorher auf dem E5 von Oberstdorf nach Meran kennengelernt habe. Entspannt, nur ein paar wenige Wanderer sind hier unterwegs.

Tag 2 – Zum Friesenberghaus

Berliner Höhenweg / Gamshütte (c) Stephan Hunger
Berliner Höhenweg / Gamshütte (c) Stephan Hunger

Geht’s noch einsamer? Auf dem langen Übergang zum Friesenberghaus treffen wir kaum einen Wanderer. Wir sind gegen fünf Uhr aufgestanden, nach einem kurzen Frühstück bald losgelaufen. Mit 14 Kilometern liegt eine besonders lange Strecke vor uns. Laut Schild sieben bis neun Stunden. Und ein vorhergesagtes Nachmittagsgewitter sitzt uns im Nacken. Das wollen wir auf keinen Fall mitten im Blockwerk verbringen. Dann lieber eingehüllt vom morgendlichen Dunst über die steilen Grasflanken des Vorderen Grinbergs.

Unsere erste Pause an einer Almhütte. Erfrischende Buttermilch inklusive. Später ein immer großartigerer Blick. Derweil hält uns das Blockwerk einigermaßen in Atem, eine gehörige Portion Konzentration ist vonnöten. Jeder Schritt will sitzen. Hier, am Anfang der Tour, müssen unsere Körper erst mal wieder richtig in Schwung kommen.

Nach neun Stunden dann am Friesenberghaus. Kaum, dass wir uns ein paar Minuten auf dem Freisitz genießen, kündigt sich auch schon das Gewitter mit aller Kraft an. Schnell in die Gaststube hinein. Hier werden wir ausharren und wahrscheinlich das erste Mal im Notlager, sprich: Auf einer Matratze im Gastraum, nächtigen müssen. Wir hatten es kommen sehen. Denn schon Wochen zuvor war keine Reservierung mehr möglich.

Doch dann, die Überraschung: Nach dem Abendessen drinnen und einer halben Sturzflut draußen beginnt der Wirt mit der Zuteilung der reservierten, aber nun doch wieder freien Plätze. Und siehe da: Wir werden in eines der Bettenlager geführt. Welch’ Traum, nach diesem Tag in einem kuschelig-weichen Bett zu schlafen!

Tag 3 – Zum Furtschaglhaus

Berliner.Höhenweg.4

Ein milchig-verregneter Tag. Der Übergang vom Friesenberghaus zum Furtschaglhaus ist mit Sicherheit landschaftlich schön. Doch wir sehen nichts. Die ganze Nacht hindurch hat es rund um die Hütte immer wieder kräftig gescheppert, war das Zimmer Mal um Mal hell erleuchtet von den Blitzen. Es regnet weiter.

Nach einer ersten, kurzen Etappe hinüber zur Olpererhütte findet sich dort ein Wanderer nach dem anderen ein. Und lässt sich die wohlig-wärmende heiße Schokolade nicht entgehen. Wir gesellen uns zu Uwe und Stephan, die bereits seit dem ersten Tag parallel zu uns unterwegs sind. Mit dem sympathischen Vater-Sohn-Gespann aus Dresden haben wir am Vorabend lang und ausgiebig erzählt. Auch sie wollen die gesamte Zillertaler Runde laufen; in den nächsten Tagen verbringen wir viele Stunden gemeinsam auf den Wegen und in den Hütten.

Die einladende Olpererhütte gehört der DAV-Sektion Neumarkt. Nachdem die Vorgängerhütte abgerissen wurde, eröffnete 2007 der moderne Ersatzbau rund 600 Meter über dem Schlegeisspeicher. Das helle Holz und freundliche Willkommen durch das Hüttenteam lässt sofort eine warme Atmosphäre entstehen. Ein Highlight ist das große Panoramafenster im Aufenthaltsraum. Von hier hat man einen wunderbaren Blick auf den Stausee unten und den dahinter liegenden, namensgebenden Schlegeiskees. – Sofern nicht gerade, wie heute, dicke Regenwolken tief zwischen den Bergen hängen.

Von der Olpererhütte geht es zügig zum Schlegeisspeicher hinab. Ein Paar ganz dünne Handschuhe wären jetzt nicht schlecht. – Immer klammer und steifer werden die Finger in dieser trüben Suppe. Ablenkung vom tristen Tag verschafft eine Gamst-Wurst, die wir unten am Stausee angeboten sehen und der wir nicht wiederstehen können. Danach den gesamten See ausgelaufen und in zahllosen Kehren zum Furtschaglhaus hinauf. Den dortigen Trockenraum nehmen wir heute besonders gerne in Anspruch, ebenso die heißen Duschen.

Tag 4 – Zur Berliner Hütte

Berliner Höhenweg / Schönbichler Horn. (c) Stephan Hunger
Berliner Höhenweg / Schönbichler Horn. (c) Stephan Hunger

Übernachtest Du noch oder residierst Du schon? – Berliner „Bergschloss“ könnte die 1897 eröffnete Berliner Hütte wohl besser heißen. Kein Wunder, dass eine Alpenvereins-Unterkunft dieser Größe nach diversen Um- und Anbauten erst 15 Jahre später fertiggestellt wurde. Und dass dieser alpine Prachtbau seit seinem einhundertsten Eröffnungsjubiläum unter Denkmalschutz steht – eine Ehre, die bisher keiner anderen Schutzhütte in Österreich zuteil wurde. Ob holzvertäfelter Speisesaal, Foyer mit einem ausladenden Treppenaufgang oder besonders schnuckelig-kleinen Zimmern – auf der Berliner Hütte bekommen wir alles. In früheren Tagen gab es hier wohl sogar eine Dunkelkammer, ein Postamt sowie eine Schuhmacherwerkstatt.

Schöner kann dieser spektakuläre Tag gar nicht enden: Am Morgen waren wir, immer dem Berliner Höhenweg folgend, durch eine drahtseilversicherte Rinne bis hin zum Südgrat des Schönbichler Horns gestiegen. Dank der optimale Bedingungen an diesem Hochsommertag lassen wir uns auch die paar zusätzlichen Meter links des Weges nicht entgehen. Hinauf zum Gipfel mit seinen 3.133m. Von dort ist die Sicht auf die benachbarten Berge atemberaubend – Großer Möseler, Hochfeiler und Turnerkamp ragen imposant hinter den Gletschern empor.

Im oberen Teil des Auf- und Abstiegs war bei uns durchaus ein wenig Adrenalin im Spiel: Einiges Blockwerk im westlichen Morgenschatten noch vereist, einiger Altschnee, der steil gequert werden muss. Auf der Ostseite dann lang, steil, seilversichert und etwas ausgesetzt hinunter. Ein 80-jähriger Wanderer aus Nürnberg beeindruckt alle Jungspunde, als er sich flinker und trittsicherer als der ganze Rest zusammen elegant am Seil entlanggleiten lässt und Meter um Meter der Berliner Hütte näher kommt.

Da es noch zeitig am Tag ist, erlauben wir uns eine ausgiebige Rast entlang des Abstiegswegs. Seitlich des sich immer weiter zurückziehenden Waxeggkees geht es dann in einem Bogen hinunter zur Berliner Hütte. Wer die Auswirkungen der globalen Erwärmung genau studieren möchte, hat hier „beste“ Möglichkeiten dazu: Auf alten Postkarten reicht der Gletscher bis fast an die Hütte heran. Heute läuft man lange Strecken nur noch über das vom Eis glattgeschliffene Gestein.

Tag 5 – Zur Greizer Hütte

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Mit dem Übergang am Schönbichler Horn haben die großen Anstrengungen des Berliner Höhenwegs noch nicht ihr Ende gefunden. Das haben auch wir eindrücklich erfahren: Von der Berliner Hütte geht es über weite Moorböden hinauf zum Schwarzsee. Wollgras, Alpenrosen, Enzian – sommerliche Farbtupfer überall, die uns entlang des Wegs entzücken. Auch wenn wir erst kurz unterwegs sind: Der Schwarzsee ist so phantastisch gelegen, dass wir nicht großartig nachzudenken brauchen – und hier lang und ausgiebig rasten.

Hinter dem See ziehen wir in einigen Serpentinen hinauf zur Nördlichen Mörchenscharte. Im Aufstieg liegt noch einiges an Schnee. Von der Mörchenscharte ebenfalls, ähnlich zum gestrigen Tag, eine kolossale Aussicht. Wir fangen an, Tierköpfe in die Gesteinsformationen hineinzuinterpretieren und genießen das In-der-Natur-Sein in vollen Zügen.

Im Abstieg aus der Scharte ist volle Konzentration verlangt, denn hier hat sich, obwohl es auf Ende Juli zugeht, noch ein etwa 20 Meter breites und steil abfallendes Altschneefeld festgeklammert. Ausrutschen wäre mehr als unangenehm. Danach, ebenfalls sehr steil, noch einige Höhenmeter mit Hilfe von Seilversicherungen, später in engen Serpentinen weit bergab.

Uns fährt ein gehöriger Adrenalinschub durch den Körper, als sich eine Geröll-Lawine laut krachend aus einer Bergflanke löst und eine lange Rinne hinunterpoltert. Die großen Gesteinsbrocken hüpfen – Tischtennisbällen gleich – immer und immer weiter über die Schräge. Erst weit unten kommen sie nach einigem Krawall zu liegen. Der Staub braucht einige Zeit, sich zu setzen. Glücklicherweise sind wir auf dem Pfad weit genug entfernt und können den Schreck alsbald verdauen.

Kaiserwetter auch heute und so lassen wir uns wieder zu einer langen Pause hinreißen. Kurz vor dem Talboden im Floitengrund nochmals ein paar Seilversicherungen und – ein Novum für mich – eine am Berg befestigte Aluleiter(!), über die wir senkrecht ein paar Meter überwinden. Hinter dem Bach heißt es dann noch mal einen einstündigen Aufstieg zur Greizer Hütte hinter uns zu bringen. Auf der Greizer Hütte gibt es einige Ziegen. Klar, welche Milch überall dort drin ist, wo sie reingehört. Zugegeben, im Kaiserschmarrn ist Ziegenmilch dann doch etwas gewöhnungsbedürftig.

Tag 6 – Zur Kasseler Hütte

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Gleich am Morgen müssen wir nochmals eine Scharte überwinden: Die Lapenscharte liegt auf 2.701m. Von dort hinab, erblicken wir auf der anderen Seite des Talkessels unser Tagesziel. Ganz weit hinten. Und ganz klein. Ein Blick nach rechts – nach Süden – lässt erahnen, wie lange es bis zur Hütte dauern wird.

Im Vergleich zu den Vortagen kommt der heutige Weg recht unspektakulär daher. Erst zum Schluss, als wir uns schon weit an die Hütte herangearbeitet haben, wird die Sicht wieder beeindruckender.

Wir durchschreiten eine Kunstinstallation, die Porta Alpinae: „Öffne die Tür für eine andere Welt“, ruft es uns da mitten am Berg entgegen. „Sei achtsam, nimm die Stille, Schönheit und Mystik der Berge in Dir auf und tauche ein in die Tiefe Deiner eigenen Seele“. Nun gut. – Gesagt, getan.

2009 wurde die erste dieser Installationen realisiert. Bis 2013 gab es bereits zwei Dutzend solcher Pforten in Deutschland, Österreich, Italien und in der Schweiz. Am hiesigen Standort scheint mir die Pforte reichlich überflüssig. Ich bin mir sicher, dass hier oben in den Zillertaler Alpen jeder Wanderer schon längst tief in sich abgetaucht ist. An anderen Standorten jedoch, näher an Gemeinden und Bergbahnen, mag das Projekt Viele überhaupt erst zum Innehalten veranlassen und so auch gewiss ganz wichtig sein.

Für Gesprächsstoff auf der Hütte ist die Tür, die wir notgedrungen auf unserem Weg durchschreiten mussten, allemal gut. Und über neue Wege denken wir auch jetzt nach, da wir fast am Ende unserer Zillertal-Reise angekommen sind. So geht das oft: Der eine Weg ist beendet, gleichzeitig tun sich viele neue Ideen auf.

Tag 7 – Über den Siebenschneidenweg und Abstieg

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Unser Kreis schließt sich: Nochmals sind wir besonders zeitig aufgestanden. Kurz nach sechs laufen wir los. Bei bestem Wetter über den Aschaffenburger Höhenweg immer Richtung Edelhütte.

Auch dieser Tag würde es in sich haben, versprach uns der Hüttenwirt. Am Vorabend hatten wir wieder besonders ausgiebig die Wettervorhersage verfolgt. Nach den zurückliegenden Hochsommer-Tagen müssen wir bald mit dem nächsten Gewitter rechnen. In diesem Fall würden wir den vielversprechenden, aber weiten Abschluss zugunsten der Sicherheit auslassen müssen: 14 Kilometer über vielerorts steile, grasbewachsene Hänge und über mit Flechten bewachsenes Blockwerk, das ganze ohne Notabstieg, sind nur bei guten Wetterbedingungen zu empfehlen. Und wir haben Glück, das Gewitter soll frühestens am späten Nachmittag kommen.

Der Weg ist auf seine Art beeindruckend. Etwas rau, abweisend. Mit seinen ein-zwei-drei-vier-sieben Graten, die wir überqueren müssen und wegen derer er auch Siebenschneidenweg genannt wird, durchaus kräftezehrend. Zwischendrin, wie ein Relikt aus alten Zeiten, das Aschaffenburger Notbiwak. Wer von schlechtem Wetter überrascht oder eingeholt wird, weiß dieses einfache, aber trockene Plätzchen sicher zu schätzen.

Der Weg zur Edelhütte war am Morgen mit neun Stunden angegeben. Doch nach einer Woche auf dem Berliner Höhenweg schweben und fliegen wir heute nur so dahin. Und sitzen trotz Pausen bereits nach 7,5 Stunden bei einem Kaiserschmarrn auf der Edelhütte.

An der Edelhütte hat uns auch die Zivilisation wieder ein. Tagesausflügler pendeln zwischen der Bergbahn weiter unten und der Hütte hin und her. Es herrscht ein reges Treiben auf der sonnenbeschienenen Terrasse.

Ursprünglich hatten wir vor, noch auf der Hütte zu übernachten und am nächsten Tag abzusteigen. Jetzt aber dominiert das Gefühl, nach einer wunderbaren Woche in den Zillertaler Alpen einfach nur nach Hause zu wollen. Zu einer Dusche, mit der es nicht nach drei Minuten vorbei ist, zu absolut-super-duper-frisch-duftender Kleidung und zu einem riesigen Salat. Da kommt uns das Angebot von Stephan und Uwe sehr gelegen: Sie würden uns mit nach München zurücknehmen. Flink die Füße in die Hand genommen und noch eine Stunde zur Ahornbahn gelaufen, die uns hinunter ins Tal bringt. Kaum sitzen wir im Auto zieht ein Gewitter über das Zillertal hinüber, das sich gewaschen hat.

Fazit: Diese Tour wird immer ganz besonders für mich bleiben. Denn es war der Beginn einer wunderschönen Tradition, die ich nun schon seit einigen Jahren aufrecht erhalte. – Jedes Jahr für eine Woche mit Freunden in den Bergen unterwegs zu sein.

Wenn Du darüber nachdenkst, den abwechslungsreichen Berliner Höhenweg selbst unter die Füße zu nehmen, solltest Du eine gehörige Portion Ausdauer mitbringen. Besonders für die langen Übergänge am Anfang und Ende der Tour. Für diese beiden Tage muss vor allem auch das Wetter passen. Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sollten keine Fremdworte für Dich sein, im Idealfall hast Du vor dieser anspruchsvollen Rundtour schon auf anderen Mehrtagestouren ausreichend Bergerfahrung gesammelt. Schön an der Runde ist, dass Du von jeder Hütte auch schnell wieder ins Tal abkürzen kannst. So sind Deiner individuellen Tour-Einteilung nahezu keine Grenzen gesetzt.

Eine kleine Bildauswahl der Tour findest Du hier.

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