Bergauf Hier & da hin

Hoch gepokert

Auf Schneeschuhen einmal längs durchs Lattengebirge

„Morgen geht’s dann durchs Lattengebirge. Der erste Abschnitt durch das Hochplateau wird sechs bis sieben Stunden dauern. Ohne Ausstiegsmöglichkeit.“ Mit diesen Worten von Eddy erfahren wir ein paar genauere Eckdaten für unsere Unternehmung. Eddy ist Bergführer im Berchtesgadener Land und einer unserer Guides bei einer 12-Stunden-Schneeschuhwanderung während der Winter Outdoor Tage.

Hochplateau also. Viele Stunden. – Vor meinem geistigen Auge blitzen Bilder der Hardangervidda auf. Von dieser riesigen, wunderbaren Hochebene in Norwegen, durch die sich auf Ski perfekt auch für mehrere Tage streifen lässt. Eine Gebirgsgegend, in der man bei schlechtem Winter-Wetter besser nicht unterwegs sein sollte. Oder ganz schnell seine Grenzen gezeigt bekommt. Im Schneesturm. Im Whiteout. – Worauf hatte ich mich da nur wieder eingelassen?

Am nächsten Tag glücklicherweise nichts von alldem bei unserem Start am Predigtstuhl. Bei unserer Auffahrt mit der Predigtstuhlbahn, der Grande Dame der Alpen, wie sie liebevoll genannt wird, erfreut uns Sonnenschein. Und das Mundharmonikaspiel des Kabinenbegleiters. Musikalisch geht’s schon zu im Berchtesgadener Land, nicht nur auf dem Königssee.

Ab dem Morgen unser Begleiter: Hochkalter
Ab dem Morgen unser Begleiter: Hochkalter

Am Predigtstuhl die Schneeschuhe angeschnallt und los geht’s Richtung Süden einmal längs durchs Lattengebirge. Den Nationalpark mit Watzmann und Hochkalter immer wieder im Blick. So eine Schneeschuhtour passt ja perfekt in eine Region, die sich anschickt, wohl bald mit dem ersten Bergsteigerdorf Deutschlands werben zu können: Ramsau soll das werden.

Die Bergsteigerdörfer haben sich eine nachhaltige Tourismus-Entwicklung auf die Fahnen geschrieben. Quasi: Skitouren statt Skilifte, Schneeschuhe statt Schneekanonen. In der Initiative des österreichischen Alpenvereins sind bisher 20 Dörfer und Regionen in Österreich verbunden. Jetzt soll die Idee auch nach Deutschland kommen.

Darüber jedoch machen wir uns auf unserem Weg durchs Lattengebirge weniger Gedanken. Vielmehr geht’s um das richtige Befestigen der Bindung; um das optimale Die-Schneeschuhe-Voreinander-Setzen-Um-Nicht-Zu-Stolpern, um das Einteilen der Kräfte, das Besiegen des inneren Schweinehunds, wenn es nochmals bergauf geht.

Erste Pause: Schlegelalmhütte
Erste Pause: An der Schlegelalmhütte

Die Entdeckung der Langsamkeit

Einen Tag lang sind wir unterwegs. Es knirscht und knarzt. Der Schnee unter den „Plastik-Schlägern“. Die Bindungen auf ihnen. Oft geht es im Gänsemarsch durch die Landschaft. Kraftschonend. Selbst bei rund 50 Schneeschuhgängern verstummen viele der Gespräche unterwegs auch mal. Jeder hängt irgendwann seinen ganz eigenen Gedanken nach. Wahrscheinlich war das seit jeher bei den Zu-Fuß-Reisenden so.

Tipp-Tapp im Gänsemarsch durchs Lattengebirge
Tipp-Tapp im Gänsemarsch durchs Lattengebirge

In Zeiten, in denen wir mit dem Flugzeug an einem Tag ohne Probleme 10.000 Kilometer und mehr zurücklegen können, mutet es mitunter seltsam an, sich plötzlich – trotz des langen Unterwegsseins, bis in die Dunkelheit hinein – auf eine Tagesleistung von gerade mal 30 Kilometer zu beschränken. Früher wurden ganzen Landstriche im Abstand solcher Tagesreisen besiedelt. Mit einem Blick auf die Landkarte lässt sich das selbst heute noch erkennen.

Immer nach Süden, die beiden Prominenten der Region im Blick
Immer nach Süden, die beiden prominentesten Berge der Region im Blick

Auf eine ganz besondere Art ist es beglückend und erfüllend, zwölf Stunden unterwegs, einen ganzen Tag „gereist“, auf Schneeschuhen gegangen zu sein. Später fährt man die Strecke wieder zurück – unten im Tal, auf gut ausgebauten Straßen. Mit dem Auto geht’s wieder um ein Vielfaches schneller voran. Doch etwas bleibt von diesem Langsamen, von diesem Entschleunigt-Sein.

Zwischen Tortur und toller Tour

Das, was historisch als Tagesreise oder Tagesmarsch beschrieben ist, lässt sich bei idealen Bedingungen erreichen. In einer günstigen Jahreszeit. Bei gutem Wetter. Schnee gehört nicht dazu. Einer der Gründe, warum wir später, am südlichen Ende des Lattengebirges, mit der ganzen Gruppe unseren Zielpunkt verlegen. An ein Überschreiten des letzten Berges ist heute nicht mehr zu denken. Zu hoch gepokert, die zwölf Stunden sind rum!

Verdient: Pasta-Pause bei Einbruch der Dunkelheit
Verdient: Pasta-Pause bei Einbruch der Dunkelheit

Was nach einer derartigen Schneeschuhwanderung bleibt ist ein Brennen. Auch noch zwei Tage später. Bei dem einen in den Oberschenkeln. Bei dem anderen im Magen. Als „Nachbrennen“, als Hunger. Das bringen lange Wanderungen einfach mit sich – der Kalorienverbrauch ist enorm. Zumal im Winter.

Ohne Frage: Die einen erleben den Tag als Tortur, die sie gemeistert haben. Die anderen als tolle Tour, die sie erleben durften. Die Wahrheit hat viele Gesichter. In den Gesichtern von uns „Finishern“ ist Zufriedenheit zu lesen. Freude, es geschafft zu haben. Ein Blitzen in den Augen, sich im Sommer ja vielleicht an einem (weiteren) 24-Stunden-Marsch zu versuchen …

Nach 12 Stunden: Abstieg ins Tal
Nach 12 Stunden: Abstieg ins Tal

Non-Stop durchs Lattengebirge? – Tipps für alle, die nun auch mal über die Tour nachdenken:

Vielleicht muss man vorher noch nicht auf Schneeschuhen unterwegs gewesen sein. (Das hat der eine oder andere auch bei dieser ersten offiziellen 12-Stunden-Schneeschuhwanderung bewiesen.) Aber Ausdauer sollte man trainiert haben. Oder über einen wirklich großen Willen verfügen. Sonst heißt es „Abbruch“ auf dieser Tour.

Die Tour ist insgesamt technisch einfach, aber lang und Kräfte zehrend. Im Winter Unerfahrenen/Ortsunkundigen im Alleingang nur bedingt zu empfehlen; der Abstieg zwischen Karspitz und Feuerspitz hat es für einen kurzen Moment in sich. Achtung hier: Wächten!

Im Winter ist die Auffahrt mit der Predigtstuhlbahn sinnvoll. Wer lieber komplett zu Fuß geht, für den empfiehlt sich der alternative Aufstieg von Baumgarten.

Das Lattengebirge mit seinen vielen Almen ist sicher auch im Sommer eine tolle Wahl. Einfach mal in die Karte schauen (DAV: 1:25.000, BY20). Vielleicht auch die Steinerne Agnes oder die Schlafende Hexe besuchen.

Einer der Sommer-Wander-Klassiker ein paar Kilometer weiter südlich, im Nationalpark, ist die Watzmannumrundung. Dauer: 4 Tage.

Wer gerne organisiert unterwegs ist: Im Sommer gibt es verschiedene 12- bzw. 24-Stunden-Wanderungen im Berchtesgadener Land; zum Beispiel am Untersberg oder am Watzmann.

Zum Weiterlesen: Auch Steffi schreibt in ihrem Blog Gipfelglück, wie es war, an der Tour durch das Lattengebirge teilzunehmen. Davon, die eigenen Grenzen kennenzulernen und sie zu überwinden. 

Das Lattengebirge habe ich auf Einladung von Berchtesgadener Land Tourismus durchwandert.

 

  1. Pingback: 12h Schneeschuhwandern Berchtesgadener Land | Gipfelglück

  2. Pingback: 12 Stunden Schneeschuhwandern | Outdoor-Club

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung