Münchner Momente

Ein Berg ist ein Berg

Caspar David Friedrich

Riesengebirgslandschaft in frühherbstlicher Sonne

Mal ganz ehrlich: Es ist doch ein Affront, Museen in der Rubrik „Schlechtwetterprogramm“ anzupreisen. Machen Touristiker ja durchaus gerne und nahezu reflexhaft.

Dabei hat ein Museumsbesuch bei gutem Wetter ja eindeutig Vorteile. Zum einen: Selbst die bekanntesten Sammlungen und Ausstellungen sind dann einigermaßen leer. Denn mit Ausnahme einiger weniger sitzen alle im Café oder im Park, sind am See oder am Berg. Zum anderen: Bei gutem Wetter hat man einfach einen anderen Blick auf die Dinge. Ging mir neulich erst wieder so, in der Neuen Pinakothek.

Dort hängt die „Riesengebirgslandschaft mit aufsteigendem Nebel“. Caspar David Friedrich hat sie um 1819/1820 gemalt. Zu sehen sind die „Sieben Gründe“, ein mythenreiches Gebiet nahe des polnisch-tschechischen Grenzkamms.

Die Bergrücken liegen eng beieinander, nur getrennt von steil und tief eingeschnittenen Tälern. Die lassen sich aber nur vermuten. Man sieht sie nicht, denn der Nebel wabert aus ihnen hervor. Kein Anzeichen von Zivilisation. Das Bild ist menschenleer. Nur ganz am Rand ein schmaler Pfad, der aber auch ein Wildwechsel sein könnte. Nichts als Natur. Fast wirkt sie auf mich wie Ur-Natur. Fehlte da nicht der Urwald, wärs nicht verwunderlich, wenn jeden Moment von rechts ein Flugsaurier ins Bild stürzen oder ein Tyrannosaurus hindurch marschieren würde.

Wie so oft, wenn ich dieses Bild sehe, verfängt sich mein Blick irgendwo ganz weit hinten in den Bergen. Der Anblick hat etwas Beruhigendes. Gleichzeitig wirkt die Landschaft auf mich ein wenig bedrohlich. Denn das Mittelgebirge tut ein bisschen so, als sei es ein ganz großes, hohes: Es gibt sich rau, karg und arid. Bei Schlechtwetter, denke ich, wäre es hier definitiv kein Zuckerschlecken.

Mit der Riesengebirgslandschaft wird, wie mit vielen anderen Bildern des gebürtigen Greifswalder Malers, schnell das Melancholische assoziiert. Allein die Brauntöne sprechen da Bände. Und dann das Für-sich-ganz-allein-Sein, das Einsame in der weiten Natur.

Riesengebirgslandschaft mit aufsteigendem Nebel
Caspar David Friedrichs Riesengebirgslandschaft hängt in Saal 9 der Neuen Pinakothek

Mich hatte an jenem sonnigen Herbstsonntag ein Facebook-Posting der Pinakotheken wieder mal in die Museumsräume gelockt. Die „Bergrücken versinnbildlichen den religiösen Ausdruck“, hieß es einige Tage zuvor in dem Eintrag.

Mag sein, dass Caspar David Friedrich seine geballte Religiosität in das Bild gepackt hat. Da ich’s aber gar nicht mit dem Religiösen habe, seh ich derlei auch nicht in dem Bild. – Abgestorbener Baum hin, übereinandergeschichtete Berge her. Für mich ist ein Berg ein Berg. Ein Berg, der wirkt. Ein Berg, der Gefühle erzeugt. Ein Berg, der meine Gedanken schweifen lässt, der Assoziationen weckt. Auch ohne den Umweg über eine Religion.

Früher hat’s mich immer ein wenig gefröstelt, wenn ich das Bild gesehen habe. Denn ganz natürlich war es ein – durchaus melancholisches – Novemberbild für mich. Geschaudert hat’s mich, denn im November ist’s gerne mal garstig kalt, selbst in gar nicht so hohen Höhen. Da willst du auf einer Wanderung höchstens kurz stehenbleiben. Am ehesten noch mit einem heißen Tee im Thermosbecher. Oder du gehst lieber gleich weiter, in die warme Hütte, irgendwo unten im Tal.

Mir wird klar, wie uneindeutig die Jahreszeit für mich in dem Bild ist. Und nach dem einen oder anderen Bergerlebnis mit aufsteigendem Nebel bin ich mir mit dem November eh schon längst nicht mehr sicher. Denn der im Bild eingefangene, flüchtige Moment heißt für mich auch: Dieser Tag kann noch alles bringen, zum Beispiel einen wunderbaren Spätsommerabend mit Musik und viel Sonne.

Und obwohl ich das Riesengebirgs-Gemälde schon oft gesehen habe, bin ich bei meinem Schönwetter-Besuch in der Pinakothek dieses Mal vor allem von einem überrascht: wie viel Blau da hinter den Wolken über dem Riesengebirge hervorschaut. – Wer weiß, vielleicht hätte ich dieses Blau an einem verregneten Museums-Sonntag wieder mal nicht entdeckt.

Dies und das:

Die Neue Pinakothek beherbergt europäische Kunst des 19. Jahrhunderts. Der postmoderne Bau ist von außen sicher Geschmacksache; die Ausleuchtung der Museumsräume ist durch die vielen Oberlichter jedoch immer wieder besonders schön.

Nicht nur für Familien zu empfehlen: Sonntags öffnet die Neue Pinakothek – wie viele andere Münchner Museen – die Pforte für kleines Geld. – Für einen Euro ist man dabei.

Für den Museumsshop Cedon besser auch noch etwas Zeit einplanen. Immer wieder eine unendliche Fundgrube an interessanten Büchern, schönen Kunstpostkarten und, und, und.

Für einen Kaffee ist bei gutem Wetter die Restaurant-Terrasse zu empfehlen. Im Wasserbecken plätschert’s – und der auf der Barer Straße und Gabelsberger Straße vorbeirumpelnde und vorbeirauschende Verkehr wird weitestgehend übertönt.

Im Münchner Kunstareal gibt’s noch viele weitere sehenswerte Museen und Ausstellungen – allen voran die Alte Pinakothek, die Pinakothek der Moderne und das Museum Brandhorst. Wer also für einen langen Museumstag ausreichend langen Atem hat – nur zu, ist alles nur ein paar Schritte entfernt.

Und nicht vergessen: Öfter mal bei gutem Wetter ins Museum gehen.

(oben: Caspar David Friedrich (1774 ‐ 1840) – Riesengebirge mit aufsteigendem Nebel, um 1819/20. Öl auf Leinwand, 54,9 x 70,4 cm, Inv. Nr. 8858. [Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München] – Danke an die Neue Pinakothek für die Nutzungsrechte.)

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