Hier & da hin Über Land

Big Bang im Bocksbeutel

Zur Würzburger Residenz! 

Ursachen. Folgen. – Für Cees Nooteboom wie für mich. Ich bin schon immer gerne gereist. So verwundert es auch heute nicht, dass ich, als ich 2001 wegen meines ersten Jobs nach München gekommen war, sogleich am ersten Wochenende ein Buch des mir bis dahin unbekannten niederländischen Autors kaufte: Die Dame mit dem Einhorn. Europäische Reisen versprach der Untertitel.

In einer der Passagen, an die ich mich immer wieder erinnerte, beschrieb Nooteboom seine Reise nach Würzburg Anfang der 80er Jahre.

All die Jahre hatte mich die Beschreibung nicht losgelassen, gleichwohl ich nie die Gelegenheit fand, Würzburg selbst einen Besuch abzustatten. Zu nah die Alpen, zu verlockend fremde Länder. Wie viele andere hatte natürlich auch ich in den letzten Jahren immer wieder mal auf der A3 im Stau gestanden oder mich im stockenden Verkehr über die Brücke gequält, die südlich der Stadt das Maintal überspannt. Bin mit dem Zug unter dem berühmten Würzburger Stein hinweggerollt.

Nun also, Anfang November war ich hier und wollte mit eigenen Augen sehen, was Nooteboom so begeistert beschrieben hat: Die Würzburger Residenz mit ihrem riesigen Deckenfresko. Giovanni Battista Tiepolo hatte es einst geschaffen; seit 1981 steht der ehemalige Herrschersitz nicht zuletzt wegen dieses Himmelszelts als Weltkulturerbe unter dem Schutz der Unesco.
Was in Würzburg dem Wein-Connoisseur eine der ersten Lagen im Bocksbeutel, ist dem Kunstliebhaber die Residenz mit seinem fußballplatzgroßen Deckenfresko: 19 Meter breit, knapp 33 Meter lang – diese Ausmaße machen es zu einem der größten, wenn nicht sogar: dem größten zusammenhängenden Fresko, das je geschaffen wurde. Und doch ist es weniger die Größe als letztlich die gähnende Leere in der Mitte, die mich schwindelig macht.

Und ich gebe Nooteboom Recht: Tatsächlich sind die Figuren wie nach einem Big Bang an die Deckensimse geschleudert, haben sich dort an den Seiten versammelt. Dort dann, für diese Kraft ganz unerwartet, nach Kontinenten – Europa, Asien, Amerika und Afrika (Australien kannte man zwar schon, doch von seiner Größe hatte man noch keine Vorstellung) – geordnet.

Den Kopf im Nacken, werde ich von den Bildern wie benommen. Auf dem Rückweg, nach dem Besuch der unzähligen restaurierten oder rekonstruierten Zimmer und Säle, drehe ich mich erneut unwillkürlich mehrfach um die eigene Achse und unter dem Fresko hindurch. Mache einen Schritt in eine der Fensternischen, um einen weiteren Blickwinkel zu bekommen, komme auch am Treppenabsatz nicht zur Ruhe, drehe mich immer und immer wieder.

Erst draußen, im Residenzgarten und beim Blick auf die Rebhänge komme ich unter all diesen Eindrücken wieder zu Atem. Jetzt einen Wein!

Lesetipp: Cees Nooteboom – Die Dame mit dem Einhorn. Europäische Reisen (Suhrkamp)

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