Moor im Herbst

Zum Malen ins Murnauer Moos

Wäre das ‚du‘ in Ordnung?“, schiebt Christian Schied bei unserer Begrüßung gleich hinterher.“ Aber ja doch, unbedingt“; die selbe Frage hätte ich eh gleich gestellt. – An einem kühlen Herbstmorgen bin ich mit dem Murnauer Künstler vor dem Traditionsgasthaus Ähndl am Rand des Murnauer Mooses verabredet. Zum Malen.

Christian, der ursprünglich aus München stammt und an der dortigen Akademie der Bildenden Künste studiert hat, lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Murnau. Regelmäßig gibt er Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene. Ohne groß zu überlegen hatte ich mich auf das Angebot im Moos zu Malen eingelassen; wollte ausprobieren, wie es ist, mich anders als mit Worten und Fotografien an eine Landschaft heranzutasten.

Dieses Herantasten beginnt nun ohne große Umschweife mit der Suche des passenden Standorts: Wir schauen zunächst auf Moorniveau in die Landschaft. Dann suchen wir uns einen etwas erhöhten Punkt, auf dem kleinen Hügel, auf dem das Ramsachkirchl in der Herbstsonne strahlt. Da sich das Moos hier oben „zu weit weg“ anfühlt, gehen wir wieder an den Moorrand, blicken in die flache, gelbbraune Landschaft und die in der Ferne aufragenden Berge. Wir probieren weiter: Mal mit „Rahmen“ durch einen Baum im Vordergrund, dann wieder ohne diesen detailreichen „Fensterblick“. Aus Christians Erklärungen verstehe ich, dass allzu viele Details für die ersten Übungen nur stören würden. Letztlich entscheiden wir daher, uns auf einer Bank direkt unter einer mächtigen Eiche niederzulassen, von wo aus sich ein Paradeblick bietet:

Vor uns das Moor, das – wohl vor zwei, drei Tagen gemäht – intensiv nach Heu riecht. Dahinter der Gebirgskranz: Links Herzogstand und Heimgarten, die Große Kisten und die steile Westflanke des Estergebirges. Rechts das Ettaler Manndl und das Hörndl. Geradezu, in der Mitte, wuchtet sich das bereits verschneite Wettersteingebirge mit der markant geformten, unverkennbaren Alpspitze ins Bild.

Erst mal ein wenig Theorie: Christian zückt den Stift, lässt mit wenigen Linien eine Skizze entstehen und beschreibt den Bildaufbau. Es geht um Helligkeiten. Um einen Mittelwert der Schwarz-Weiß-Grau-Flächen, die das vormals leere Blatt füllen.

Selbstversuch im Moor: Einfach mal machen.

Ob ein paar zentrale Begriffe wirklich ausreichen, um selbst loszulegen, probiere ich dann selbst.

Lange scheine ich nicht mehr so intensiv in eine Landschaft geschaut zu haben: Was auswählen? Was weglassen? Wie weit abstrahieren? Es entstehen mehrere Skizzen – groß und klein, mit zaghaft schraffierten oder dunkel nebeneinander gesetzten Flächen. Irgendwann stocke ich im Skizzieren, weil schon die ganze Zeit ein kleiner, verknorpelter Ahornbaum, dessen Stamm schwarz wie die Nacht wirkt und dessen zierliche Krone in der Herbstsonne goldrot leuchtet, meine Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Wir schauen. Wir skizzieren weiter. Und wir tauschen uns aus über das, was wir wahrnehmen. Dann fällt noch so ein zentraler Begriff: „Anbinden“ notiere ich mir während unseres anregenden, kleinen Diskurses, zu dem sich der Malkurs während dieses Vormittags ganz schleichend gewandelt hat. Dass die Zeit viel zu schnell fortschreitet und wir hier und jetzt gar nicht mehr zum eigentlichen Malen mit Farben kommen, ist längst nebensächlich für mich. Denn ich bemerke: Das Moor hat mich tief berührt. 

Später im Münter-Haus, stehe ich lange vor einem der Bilder, das Gabriele Münter, die Schülerin und langjährige Lebensgefährtin von Wassily Kandinsky, 1944 gemalt hat: Moor im Herbst.

Ich kannte dieses Bild vorher nicht. Sein Anblick überrumpelt mich. Verstohlen wische ich mir Freudentränen aus den Augen.

Von der Murnauer-Moos-Meisterin Gabriele Münter: Moor im Herbst (1944)

Gut zu wissen

Den Kurs „Malen im Moos“ bietet Christian Schied mehrmals im Jahr als Halbtages- oder Tagesvariante an. Anmeldungen direkt bei ihm oder über das Tourismusamt.

Was wäre Murnau ohne den Blauen Reiter, was wäre der Blaue Reiter ohne Murnau? – Im (Sommer-)Haus von Gabriele Münter kann man sich hineinfühlen, wie sie gemeinsam mit Wassily Kandinsky dort gelebt und gearbeitet hat. Das Münter-Haus hat außer montags immer am Nachmittag geöffnet.

Außerdem einen Besuch wert: Das Schlossmuseum Murnau. – Neben dem Blauen Reiter und Gabriele Münter gehört seit Sommer 2017 auch die Sequenz „Bergblicke. Münchner Maler entdecken das Alpenland“ zur Dauerausstellung des Hauses.

Ins Moor- und ins Münter-Fieber gekommen?: Ab 31. Oktober 2017 gibt es im Münchner Lenbachhaus die Sonderausstellung „Gabriele Münter. Malen ohne Umschweife“ zu sehen.

Einen Vormittag zum Malen im Moos habe ich auf Einladung der Tourist Information Murnau am Alpenrand verbracht.

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